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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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hübschen kleinen Getreidemühle und den blitzblanken Stahlkugeln eines kleinen Gaswerks, dann folgt er dem Lauf eines lieblich mäandrierenden Flüsschens zu den Ausläufern eines sanften, bewaldeten Gebirges. Zwischendurch hält er in blitzblanken Puppenstubenbahnhöfen, die zu blitzblanken, wenn auch düsteren Kleinstädten mit mittelalterlichen Ringmauern gehören, hinter denen Menschen leben, die emsig und höflich, aber nicht sehr gut gelaunt sind. Und nicht sehr gut gekleidet.
    Zwischen zwei Kleinstädten fährt der Zug an den Kalksteinsäulen eines mittelalterlichen Galgens vorbei, der blütenweiß und weithin sichtbar am Waldrand steht, als hätte dort gestern noch der letzte Unglückliche am Strick gehangen. Das gibt es sonst nirgends auf der Welt, denkt Gilliéron, dass ein Volk zwar den Henker zum Teufel schickt, das Schafott aber stehen lässt; was müssen das für Menschen sein, welche die Richtstätten überwundener Feudalherrschaft jahrhundertelang nicht nur nicht schleifen, sondern sogar putzen und instand halten. Kleine Menschen in einem kleinen Land mit kleinen Ideen, die kleine Städte, kleine Bahnhöfe und unfassbar pünktliche Eisenbahnen bauen. Sogar der Galgen ist klein. Da würde ich mir ja die Knie wundscheuern, wenn man mich an dem aufknüpfen würde.
    In der achten Kleinstadt muss Gilliéron umsteigen, dann geht die Fahrt weiter an einem kleinen See entlang zum nächsten kleinen See, dann über einen Hügelzug mit winterlich nackten Kartoffeläckern und durch lächerlich klein parzellierte Weinberge, die lange nach Sonnenuntergang noch golden leuchten. Im Süden thront mächtig weiß und unverrückbar der Mont Blanc, Europas höchster Berg. Endlich mal etwas Großes in diesem Land, denkt Gilliéron, wobei ihm bekannt ist, dass der Mont Blanc genaugenommen in Frankreich steht, während die Schweiz sich mit dessen Anblick begnügt. Volkswirtschaftlich ist das eine kluge Entscheidung. Aus der Ferne ist so ein Berg schön anzusehen, die touristische Vermarktung des Postkartenidylls bringt gutes Geld. Aus der Nähe betrachtet hingegen ist er nur eine gefährliche und kostspielige Geröllhalde.
    In Lausanne steigt Gilliéron um in die Regionalbahn. Eine halbe Stunde später gelangt er ans östliche Ende des Genfersees, zum Geburtsort seines Vaters und ans Ziel seiner Reise.
    Der Bahnhof von Villeneuve liegt im Dunkeln. Auf dem Bahnsteig ist kein Mensch zu sehen, im Stationsgebäude brennt kein Licht. Der Fahrkartenschalter ist geschlossen, in der Tür zum Wartesaal liegt dürres Laub. Taxis oder Droschken gibt es keine, Kofferträger schon gar nicht. Der Bahnhofplatz ist gesäumt von kahlen Platanen, auf dem nassen Kopfsteinpflaster picken Tauben in plattgefahrenem Pferdedung. Hinter dem Bahnhof sind die schwarzen Umrisse der Waadtländer Voralpen zu sehen, davor steht leicht erhöht das »Hotel Byron«, das seit hundert Jahren vergeblich auf wohlhabende Engländer wartet und noch jeden Eigentümer in den Ruin gerissen hat.
    Emile Gilliéron stellt den Koffer ab und schnuppert. In der Luft liegt tatsächlich Modergeruch – der süße, würzige Moorgeruch des Rhonedeltas, über den der Vater so unermüdlich schimpfen konnte, als habe er ihn nach Jahrzehnten des griechischen Exils noch immer in der Nase gehabt. Ihm zufolge führt die schlechte Luft von Villeneuve bei längerer Inhalation zu Schwindsucht und Schwachsinn sowie Rachitis und Zahnfäulnis, ebenso zu Trunksucht, Gürtelrosen, Epilepsie und allerlei Formen weiblicher Hysterie. Diese multiple Toxizität erklärte er damit, dass Moorgeruch nichts anderes sei als der Verwesungsgestank verendeter Organismen, die ein Lebensalter lang Zeit gehabt hätten, alle möglichen Krankheitserreger einzusammeln, wobei interessanterweise der Mensch, wenn er in den Sumpf gerate, der Gnade dieser Zersetzung nicht teilhaftig werde, weil er eben nicht an der sauerstoffreichen Oberfläche bleibe, sondern ziemlich rasch in jene Tiefe von drei bis vier Metern absinke, in der das spezifische Gewicht seines Körpers jenem des Umgebungssumpfs entspricht, um dort, falls er noch nicht tot ist, zu ersticken und in stabilem Schwebezustand luftdicht verpackt und von der Moorsäure sanft gegerbt jahrtausendelang eine körperliche Frische zu bewahren, von der die Pharaonen im trockenen Sand Ägyptens mit all ihrer Balsamierungskunst nur hätten träumen können. Deshalb sei mit großer Sicherheit anzunehmen, dass im Sumpf von Villeneuve Hunderte, wenn nicht Tausende

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