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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Kriegstreibern und Naturdichter zu Blutgurglern, Kirchenglocken wurden zu Kanonen umgegossen und Opernguckerlinsen in Zielfernrohre eingebaut, Kreuzfahrtschiffe wurden zu Truppentransportern und Psalmen zu Nationalhymnen, und die Webstühle aus Winterthur woben keine Seide mehr, sondern Uniformdrillich, und die Turbinen aus Baden produzierten Strom nicht mehr für die Weihnachtsbeleuchtung, sondern für die Elektroloks aus Oerlikon, die keine Touristen mehr ins Engadin verfrachteten, sondern Kohle und Stahl zu den Hochöfen und Gießereien der Waffenschmiede schleppten.
    Nach tausendfünfhundert Tagen war die Maschine kurz vor Felix Blochs dreizehntem Geburtstag mangels Treibstoff ins Stottern geraten und widerwillig zum Stillstand gekommen. Seither hat sie sich einigermaßen ruhig verhalten, das ist wahr, aber jetzt brummt sie schon wieder; bald wird sie wieder ruckeln und rattern, und über kurz oder lang werden ihre Schwungräder wieder zu drehen anfangen und ihre Schredderzähne sich aufs Neue durch die Landschaften und das Fleisch und die Seelen der Menschen fressen.
    Mag sein, dass die Maschine nicht aufzuhalten ist, sagt sich der junge Mann, aber mich wird sie nicht kriegen. Ich mache nicht mit, ich studiere nicht Maschinenbau. Ich werde etwas ganz und gar Zweckfreies machen. Etwas Schönes und Nutzloses, was sich die Maschine keinesfalls einverleiben kann. Etwas wie die Goldberg-Variationen. Es wird sich schon was finden. Jedenfalls gehe ich nicht an die ETH . Ich mache nicht Maschinenbau, da kann der Vater lange reden. Eher werde ich Fuhrmann für eine Brauerei.
    Trotzig stößt er sich vom Schuppen ab, zur Rebellion entschlossen springt er von der Laderampe. Aber noch bevor er unten auf dem Schotter landet, sinkt ihm schon der Mut und verlässt ihn die Entschlossenheit, und als er die ersten Schritte über den klappernden Plattenweg geht, der zwischen den Gleisen zur Bahnhofshalle führt, steigt ihm leise, aber unaufhaltsam wie eine bittere Champagnerperle die Erkenntnis aus den Eingeweiden übers Herz in den Kopf, dass er sehr wohl an die ETH gehen und Maschinenbau studieren wird – denn erstens würde er ein Zerwürfnis mit dem Vater nicht ertragen, zweitens hat er lauter Bestnoten in Mathematik, Physik und Chemie, und drittens will ihm auf den Tod nichts einfallen, was er mit seiner einseitigen Begabung anderes anstellen könnte, als Maschinenbau an der ETH zu studieren.
    Zwischen den Gleisen springt ein Signal auf Grün und gibt dem Schnellzug nach Genf freie Fahrt aus der Bahnhofshalle. In einem Abteil erster Klasse sitzt an einem jener ersten Novembertage des Jahres 1924 – ob’s wirklich am selben Tag und zur selben Stunde war, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen – der Kunstmaler Emile Gilliéron. Er ist geschäftlich aus Griechenland über Triest und Innsbruck nach Reislingen bei Ulm gereist, wo er einen Auftrag an die Württembergische Metallwarenfabrik zu vergeben hatte. Auf der Rückreise will er einen Abstecher an den Genfersee machen, um die Asche seines Vaters, der kurz vor seinem dreiundsiebzigsten Geburtstag in einem Athener Restaurant tot unter den Tisch gesunken war, in heimatlicher Erde zu bestatten.
    Der Vater hatte ebenfalls Emile Gilliéron geheißen, war ebenfalls Kunstmaler in Griechenland und ein berühmter Mann gewesen. Er hatte Heinrich Schliemann bei den Ausgrabungen Trojas und Mykenes als Zeichner begleitet und eine Briefmarkenserie für die griechische Post gestaltet, und er war Zeichenlehrer der griechischen Königsfamilie gewesen und hatte ein stattliches Wohnhaus mit prächtiger Aussicht auf die Akropolis gebaut, und er hatte den Sohn zu seinem tüchtigen Geschäftspartner herangezogen. Groß war deshalb in der Familie die Überraschung gewesen, als bei der Testamentseröffnung nur Schulden zum Vorschein kamen und sich herausstellte, dass die Gilliérons zwar auf großem Fuß, aber ständig von der Hand in den Mund lebten.
    Zusätzlich in Verlegenheit brachte die Hinterbliebenen der testamentarische Wunsch des Verstorbenen nach einer Bestattung in seiner alten Heimat am Genfersee; denn eine offizielle, legale Repatriierung des Leichnams über drei oder vier Landesgrenzen hinweg wäre mit einem finanziellen und administrativen Aufwand verbunden gewesen, den sich allenfalls der Papst, der König von England oder ein amerikanischer Eisenbahnmagnat hätte leisten können. Einigermaßen durchführbar war nur ein klandestiner Transport nach vorgängiger

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