Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
Höhenlagen um 1800 Meter fielen rund dreißig Zentimeter Schnee.
Es muss kurz nach Tagesanbruch gewesen sein, als Laura und ihr Bergführer auf der Passhöhe ankamen und im Schneetreiben die Grenze überschritten, bevor sie auf der italienischen Seite nach dem Grenzdorf Cesana abstiegen. Dort wurden sie in der Pension »Croce Bianca« von einer Wirtin erwartet, die nicht allzu viele Fragen stellte und Laura ein Zimmer gab, damit sie sich ein paar Stunden ausruhen konnte. Den Norwegerpulli, die Skihose und die Bergschuhe überließ Laura ihrem Bergführer. Dieser sollte die Sachen aufbewahren, bis sie in sechs Wochen wiederkehren und den Pass in umgekehrter Richtung erneut überqueren würde.
Die Schneeschuhe ließ sie in der Pension zurück, als hätte sie sie vergessen. Am Mittag ging sie zur Straße, die in die Stadt führt, und stieg um 12 Uhr 20 in den Bus, der sie aus den Bergen hinunter in die Ebene bis zum Hauptbahnhof von Turin brachte. Dort nahm sie den nächsten Schnellzug nach Genua, und als das Mittelmeer wieder in Sicht kam und der Zug in der alten Hafenstadt im Bahnhof Piazza Principe einfuhr, fühlte sie sich schon fast wieder wie zu Hause.
Ćosić hatte ihr ein Empfehlungsschreiben für eine Maria Talia mitgegeben, die an der Via San Donato 2 am Rand der Altstadt unweit des Hafens eine kleine Pension betrieb. Als Laura dort eintraf, standen in einigen Schritten Entfernung neben einem geparkten Auto zwei Männer, die Zigaretten rauchten, gestikulierten und über Fußball sprachen. Laura beachtete sie nicht weiter.
Die beiden Männer waren, wie Laura zwei Wochen später erfahren sollte, Beamte der italienischen Geheimpolizei. Sie hatten den ganzen Tag in der Via San Donato gewartet, weil sie von einem Agenten der Gegenspionage aus Nizza den Hinweis erhalten hatten, dass an jenem Freitag, 12. Dezember 1941, eine französische Spionin aus dem Netzwerk eines gewissen Ćosić in der Pension der Maria Talia eintreffen werde. Nachdem Laura in der Pension verschwunden war, setzten sie sich ins Auto und behielten die Tür im Auge. Einen Hinterausgang gab es nicht, das hatten sie am Nachmittag überprüft. Zur Essenszeit verpflegten sie sich in der Osteria an der Ecke und beobachteten durchs Fenster das Geschehen auf der Straße. Dann setzten sie sich wieder ins Auto und rauchten Zigaretten. Um Mitternacht wurden sie abgelöst.
Laura d’Oriano kam erst am nächsten Morgen um zwölf Minuten vor neun Uhr wieder zum Vorschein. Sie ging durch die Via San Donato an der Fakultät für Architektur und am Teatro Nazionale vorbei bis zur Hafenstraße, wo sie in der Bar »Santa Lucia« einen Kaffee und eine Brioche bestellte. Sie schaute auffällig oft durchs Fenster zu den Hafenbecken hinüber, trat aber mit niemandem in Kontakt. Auch mit dem Kellner sprach sie nur kurz.
Danach kehrte sie in die Innenstadt zurück und unternahm, geduldig verfolgt von den beiden Geheimpolizisten, einen ausgedehnten Einkaufsbummel durch die verschiedensten Fachgeschäfte, der um halb zehn begann und erst um halb eins endete, als die Geschäfte zur Mittagspause zusperrten. Als erstes erwarb sie nach ausgiebiger Prüfung der verschiedenen Modelle eine leichte Damenreisetasche der Marke »Il Ponte«, dann allerlei Damenkleider und Toilettenartikel erster Qualität, die sie in ihre neue Reisetasche packte. Während dieser drei Stunden trat sie mit niemandem in Kontakt, auch mit dem Verkaufspersonal in den Geschäften wechselte sie nur die üblichen Höflichkeiten.
Auf dem Rückweg in die Via San Donato kaufte sie in einer Bäckerei einen Panino al Prosciutto crudo , den sie in ihrem Zimmer verspeiste. Das Einwickelpapier und die Schinkenschwarte wurden nach ihrer Abreise im Papierkorb sichergestellt. Den Samstagnachmittag und den Abend verbrachte sie in der Pension. Besucher empfing sie laut Auskunft der Maria Talia keine, auch nahm sie mit keinem Pensionsgast Kontakt auf.
Am Sonntagmorgen, dem 14. Dezember 1941, trat sie um 09 Uhr 53 aus dem Haus, während die Glocken von San Donato zur Messe läuteten. Sie ging in die Kirche und setzte sich auf die dritthinterste Bank auf der linken Seite. Dort blieb sie allein. Am Gottesdienst nahm sie aktiv teil, die Gesänge und Gebete schienen ihr in italienischer Sprache geläufig zu sein, auch trat sie mit den anderen Gläubigen vor den Altar und empfing die heilige Kommunion.
Nach der Messe ging sie wie schon am Vortag zum Hafen und bestellte Kaffee und Brioche in der Bar »Santa Lucia«.
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