Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
Zeilen stand:
Hafen Neapel STOP
1 Zerstörer, zwei Lazarettschiffe STOP
Enorme Schwierigkeiten, kaum etwas zu sehen STOP
Muss meine Mutter besuchen STOP FINAL
Die Eisenbahnfahrt von Neapel nach Rom dauerte drei Stunden und sechs Minuten. Laura d’Oriano saß während der ganzen Reise, ohne es zu wissen, einem Geheimpolizisten gegenüber, der nach der Ankunft im Bahnhof Roma Termini die Verfolgung einem römischen Kollegen überließ. Dieser folgte ihr bis zur Wohnung der Eltern am Largo Brancaccio Nummer 83. Das Haus stand fortan während der ganzen zehn Tage, die Laura d’Orianos Besuch andauerte, unter Beobachtung. Weil sie aber kaum aus dem Haus ging, keinen Besuch empfing und keine Briefe schrieb, blieben die Polizeirapporte sehr kurz und wenig informativ. Man wird nie erfahren, was sich in jenen Tagen zugetragen hat.
Man kann vermuten, dass die Wiedersehensfreude groß war, als Laura nach anderthalb Jahren Trennung unangemeldet klingelte, und dass Mutter und Tochter einander unter der Wohnungstür umarmten und herzten und wohl auch ein paar Tränen vergossen. Weiter kann man annehmen, dass die Mutter Laura in den Salon führte, aufs Sofa setzte und ihr Tee oder Eierlikör und Kekse aufnötigte. Laura wird sich gewundert haben, dass die Mutter in der großen Wohnung allein war. Und dann wird die Mutter ihr berichtet haben, wie es gekommen war, dass ein Familienmitglied ums andere sie verlassen hatte.
Lauras Brüder waren während der Überfahrt von Marseille nach Rom über Nacht zu glühenden Anhängern des Faschismus geworden. Unmittelbar nach dem Landgang im Hafen von Ostia hatten sie das nächste Rekrutierungsbüro gestürmt und sich einem Infanterieregiment zuteilen lassen, das wenig später nach Ostafrika entsandt wurde. Seither schrieben sie der Mutter Briefe in nahezu identischen Handschriften und gleichbleibend nichtssagenden Inhalts aus Massaua, Addis Abeba und Adua.
Die zwei Mädchen hatten in Rom ihre Träume von russischen Prinzen begraben und eine Vorliebe für schnittige Schwarzhemden in gewichsten Stiefeln entwickelt. Die eine hatte einen Buchhalter aus dem Finanzministerium geheiratet und war nach Palermo gezogen, die andere war nach Griechenland gegangen und Hilfskrankenschwester auf einem Lazarettschiff geworden.
Der Vater schließlich war vor ein paar Monaten nach Albanien gereist in Geschäften, mit denen er die ganze Familie finanziell wieder auf die Beine zu bringen hoffte. Er hatte sein letztes Geld in eine Druckerei in Tirana investiert, die sich auf Notenblätter spezialisierte und beste Qualität zu konkurrenzlosen Preisen besorgen konnte – hätte besorgen können, wenn ihr nicht im Dezember 1939 Papier und Druckerschwärze ausgegangen wären, weil auf dem darniederliegenden Weltmarkt keine Lieferanten mehr zu finden waren.
Mag sein, dass der Bericht der Mutter mehrere Stunden in Anspruch nahm, und dass Laura sich manches zwei- oder dreimal erzählen ließ, um sicher zu sein, dass sie alles richtig verstanden hatte. Gut möglich, dass Mutter und Tochter gemeinsam in die Küche gingen und eine Mahlzeit zubereiteten, eine Parmigiana vielleicht oder Spaghetti aglio e olio , und dass sie einander bis zur Schlafenszeit mit Familienanekdoten unterhielten. Vielleicht sangen sie, nachdem sie einen Eierlikör oder zwei getrunken hatten, vor dem Zubettgehen noch ein paar Lieder. Man kann sich vorstellen, dass sie anderntags beim Frühstückskaffee ihr Gespräch wiederaufnahmen und alles am Vortag Besprochene rekapitulierten, und dass sie danach Karten spielten, Hausarbeiten erledigten, einander die Haare frisierten oder Fotos aus vergangenen Zeiten anschauten.
Das alles kann man sich vorstellen, aber man weiß es nicht, weil die Polizeibeamten draußen auf der Straße Laura zehn Tage lang kaum zu Gesicht bekamen. Jeden Morgen gingen Mutter und Tochter im Krämerladen an der Ecke einkaufen, dann verschwanden sie wieder in der Wohnung. Sie gingen nie aus, niemand kam zu Besuch – auch nicht an Heiligabend, Weihnachten oder am Stephanstag.
Nach zehn Tagen waren die Ermittler sicher, dass die Spionin Laura d’Oriano in der Hauptstadt keine Spionagetätigkeit entwickeln und keine Verbindungsleute aufsuchen würde, sondern einzig aus familiären Gründen nach Rom gekommen war.
Aber um die letzten Zweifel auszuräumen, ließen sie sie auch dann noch unbehelligt, als sie am Morgen des 27. Dezember 1941 mit ihrer Reisetasche zum Hauptbahnhof zurückkehrte und eine Fahrkarte zweiter
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