Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
Klasse nach Neapel kaufte. Und weil sie diesmal keinen Brief einwarf, mussten die zwei Geheimpolizisten sich nicht aufteilen, sondern setzten sich nebeneinander zu ihr ins Abteil für den Fall, dass sie im Zug doch noch einen Kontaktmann treffen würde.
Aber als der Zug um halb elf anfuhr, war Laura d’Oriano noch immer allein, und sie blieb es während der ganzen halbstündigen Fahrt bis zum ersten Zwischenhalt im Bahnhof Littoria. Nachdem der Zug zum Stillstand gekommen war, schaute sie aus dem Fenster und beobachtete die aussteigenden Fahrgäste. Auf dem Bahnsteig standen ungewöhnlich viele Carabinieri, die ihre Maschinenpistolen gegen den Zug gerichtet hatten. Zwei Männer in schwarzen Ledermänteln gingen schnell an ihnen vorbei und stiegen in den Zug.
Ein paar Sekunden später betraten sie Laura d’Orianos Abteil. Sie salutierten, stellten sich als Maresciallo Riccardo Pasta und Maresciallo Giovanni Spano vor und baten sie um ihren Ausweis. Und dann nahmen sie sie fest wegen Verdachts auf militärische Spionage gegen das Königreich Italien.
Laura d’Oriano wurde in Handschellen gelegt, mit dem nächsten Zug zurück nach Rom gebracht und in die Haftanstalt Regina Coeli überführt, die ein feuchtes Gemäuer und ehemaliges Nonnenkloster aus dem 17. Jahrhundert war. Ein Seitenflügel war für Mussolinis Geheimpolizei Ovra reserviert, die dort politische Häftlinge in Einzelhaft setzte und Verhöre durchführte.
Vierzehntes Kapitel
In Los Alamos verging die Zeit. Felix Bloch lebte mit seiner Familie Tage, Wochen und Monate in einer Stadt, die offiziell nicht existierte und auf keiner Karte verzeichnet war. Sie hatte keine Postleitzahl, keine telefonische Vorwahl und keine Sportvereine, und ihre Einwohner besaßen kein Wahlrecht, weil sie auf keinen Wahllisten auftauchen durften, und sie hatten keine Telefonnummer und mussten die Briefe, die sie schrieben, vor dem Abschicken der Militärzensur vorlegen.
Felix Bloch versuchte es als Teil eines großen Pfadfinderspiels zu sehen, dass er Tag für Tag zu den immer gleichen Uhrzeiten an den immer gleichen Kontrollposten seinen Dienstausweis zeigen musste, obwohl die immer gleichen Militärpolizisten ihn längst kannten und mit Namen grüßten. Er versuchte darüber hinwegzusehen, dass seine Frau, wenn sie zum Einkaufen nach Santa Fe ging, auf Schritt und Tritt von Geheimdienstleuten beschattet wurde, die man von Weitem als solche erkannte, weil sie viel zu gut angezogen waren mit ihren schwarzen Anzügen, den schwarzen Hüten und grauen Krawatten auf den weißen, immer frisch gebügelten Hemden. Er versuchte es mit Humor zu nehmen, dass er mit seinen Söhnen kein Schweizerdeutsch sprechen durfte, weil halbwüchsige Militärpolizisten aus Oklahoma seinen Zürcher Dialekt für Ungarisch oder Esperanto oder sonst eine Geheimsprache hielten. Und wenn er abends die Kinder in ihren Feldbetten schlafen legte und sie mit Laken zudeckte, auf denen in schwarzen Lettern USED stand, rief er sich selbst zur Ordnung und ermahnte sich, dass dies alles im Dienst einer großen Sache geschah.
Seine Experimente mit den röhrenförmigen Bomben in den abgelegenen Canyons hatten Fortschritte gemacht. Die M eth ode der Implosionszündung war nun ausgereift. Sie war kompliziert, aber äußerst zuverlässig. Oppenheimer war zufrieden, als Felix Bloch, Edward Teller und John von Neumann ihm Ende Oktober 1943 ihre Resultate präsentierten.
Die letzte Schwierigkeit bestand nun in der Beschaffung der zwanzig bis dreißig Kilogramm Uran 235, die für den Bau einer Atombombe nötig sein würden. Eine solche Menge des künstlichen Isotops gab es auf der ganzen Welt noch nicht, weil es unter immensem Aufwand an Energie, Rohstoffen und Arbeitskräften aus dem natürlichen Uran isoliert werden musste. Aber das Kriegsministerium hatte in weit entfernten Gegenden Amerikas riesige Fabriken aus dem Boden gestampft und insgesamt hundertfünfzigtausend Arbeiter eingestellt, die laufend Uran 235 und Plutonium herstellten, ohne die geringste Ahnung über dessen Verwendungszweck zu haben.
In nur einem Jahr war Robert Oppenheimers Bombenprojekt vom theoretischen Gedankenspiel im engsten Freundeskreis zum kostspieligsten wissenschaftlichen Unternehmen der Menschheitsgeschichte angewachsen. Es gab kein grundsätzliches Hindernis mehr, die wesentlichen technischen Probleme waren gelöst. Gleichzeitig aber hatten die technischen Lösungen auch Antworten auf die großen eth ischen Fragen gegeben – oder
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