Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
ihr den Blinddarm herausgeschnitten, und weil die Bauchhöhle schon offen war, habe man auch gleich den Uterus entfernt. Danach scheint sie wieder beschwerdefrei gewesen zu sein.
Die Krankenhausrechnung über siebentausend Francs beglich Kommissar Cotoni. Nach der Operation erholte sie sich elf Tage im Krankenhaus, dann setzte sie die Rekonvaleszenz in einem Hotelzimmer fort. Cotoni schaute täglich bei ihr vorbei und brachte Früchte und frische Milch. Ab und zu führte er sie zum Essen aus und bestand darauf, dass sie ein großes Stück Fleisch bestellte.
Fleisch und Milch waren rar in jenen Tagen, ein Großteil der landwirtschaftlichen Produktion ging an die deutschen Besatzer. Der Oktober 1941 war aber auch die Zeit, in der die deutschen Panzer in Russland erstmals im Schlamm steckenblieben. Im Mittelmeer traf Churchill Vorbereitungen für einen Feldzug gegen Italien, und im Atlantik hatten die US -amerikanischen Kriegsschiffe von Präsident Roosevelt den Befehl erhalten, auf jedes deutsche oder italienische Schiff ohne Warnung zu schießen.
Als Laura d’Oriano wieder bei Kräften war, bestellte Kommissar Cotoni sie zu sich ins Büro und setzte ihr die Einzelheiten ihres nächsten Einsatzes auseinander. Sie sollte unter falschem Namen nach Italien reisen und die Kriegshäfen in Genua und Neapel aufsuchen. In Genua sollte sie nur eine kurze Bestandsaufnahme machen, in Neapel aber sechs Wochen bleiben und laufend berichten, was für Schiffe ein- und ausliefen.
Am 6. Dezember 1941 brachte er Laura zu einem Verbindungsmann, der sich Ć osi ć nannte. Dieser fuhr mit ihr in einem silbergrauen Panhard nach Briançon, die höchstgelegene Stadt im äußersten Osten der französischen Alpen, nur zehn Kilometer und fünfhundert Höhenmeter von der italienischen Grenze entfernt.
Dort bezogen sie in der »Auberge de la Paix« zwei nebeneinanderliegende Zimmer und lebten wie die Touristen. Sie gingen in tiefverschneiten Wäldern spazieren und bummelten durch die Altstadt. Er kaufte ihr einen Norwegerpullover, wollene Skihosen und Bergschuhe. An einem Kiosk wählten sie Ansichtskarten aus, dann tranken sie Kaffee auf sonnenbeschienenen Terrassen. Abends aßen sie im Hotelrestaurant Chateaubriand bei einer guten Flasche Wein.
So ging das fünf Tage lang. Am zweiten Tag herrschte Aufregung im Städtchen, weil die Radios den japanischen Angriff auf Pearl Harbour meldeten. Am fünften Tag herrschte erneut Aufregung, weil Deutschland Amerika den Krieg erklärt hatte.
An jenem Abend, es war der 11. Dezember 1941, stand Laura d’Oriano lange vor ihrem Fenster und schaute hinunter in die Gasse. Sie trug ihren neuen Norwegerpulli und die wollene Skihose. Von Ćosić hatte sie inzwischen Abschied genommen. Er hatte ihr eine gefälschte italienische Identitätskarte mitgegeben, die auf den Namen Laura Fantini lautete, dazu einen gefälschten Führerschein und einen Mitgliederausweis der Nationalen Föderation Faschistischer Hauseigentümerverbände, und dazu einen dicken Briefumschlag mit neuntausend italienischen Lire, verbunden mit der Ermahnung, diese sparsam auszugeben, um kein unnötiges Aufsehen zu erregen.
Kurz vor Mitternacht tauchte in der Gasse ein junger Mann mit einer roten Zipfelmütze auf, blieb unter Lauras Fenster stehen und rieb sich die Hände, als würde er frieren. Das war das Zeichen. Laura schnürte ihre Bergschuhe, stieg unter Gepolter die Treppe hinunter und winkte im Hinausgehen dem Nachtportier, als ginge sie zu einer nächtlichen Schlittenfahrt oder zum Curling. Gepäck hatte sie keines bei sich.
Der junge Mann mit der Zipfelmütze stellte sich ihr nicht vor und wollte auch ihren Namen nicht erfahren, sondern führte sie wortkarg durch die Stadt bis zur Passstraße, wo er hinter einem Schneewall zwei Paar Schneeschuhe und zwei Bergstöcke hervorholte. Er zeigte ihr, wie man sich die Schneeschuhe an die Füße band und wie man damit kräftesparend durch den Tiefschnee stapfte, und dann ging er voran bergauf zum Col de Montgénèvre, der seit zwei Monaten Wintersperre hatte.
Der nächtliche Marsch über den steilen Pass im tiefen Schnee muss sieben bis neun Stunden gedauert haben, und er muss für Laura d’Oriano, die in ihrem Leben erst wenig Schnee und kaum je einen Berg gesehen hatte, sehr anstrengend gewesen sein. Laut Auskunft der französischen meteorologischen Anstalt war die Nacht vom 11. auf den 12. Dezember 1941 nicht ungewöhnlich kalt, aber es herrschte kräftiger Nordwestwind, und in
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