Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
als sie die ersten Preisschilder unter die Waren gestellt haben. Ich suche nämlich seit Jahren nach einem Bügeleisen. Da waren es noch 27,50 DM. Hat wohl die werte Kundschaft heute Morgen abgeschreckt. Die Krämer horten ihre Waren ja seit Wochen, Waren, die sie noch in Reichsmark bezahlt oder als Kompensationsgeschäfte erworben haben. Die legen ihre neuen Preise willkürlich fest, aber das wird sich einpendeln. Bald müssen Sie auch keinen Monatslohn mehr für ein Kleid hinlegen. Ich wusste gar nicht, dass Sie verheiratet sind«, setzt er neugierig hinzu.
»Noch nicht«, erwidert Stave.
Auf dem Jungfernstieg an der Alster ist ein Markt entstanden. Händler haben Tische zusammengestellt und breiten ihre Waren aus. Alles legal. Hunderte Gestalten drängen sich dazwischen. Die Hälfte aller Hamburger scheint nicht am Arbeitsplatz zu sein. Nichts mehr vom verschämten Flüstern und Herumschlendern eines Schwarzmarktes. Hausfrauen und Angestellte nehmen Sachen kritisch in die Hand, mustern sie, diskutieren Qualität und Preis – noch etwas unsicher, so, als erprobten sie, sich selbst misstrauend, ihre Fähigkeiten, die so lange verschüttet waren.
Stave und Kienle durchqueren Reihen von Gemüseständen. Dahinter bietet jemand einen elektrischen Wasserkocher für 27,50 DM und ein mattgelbes Porzellangedeck für 2,60 DM an. Eine Schreibmaschine für 300 Mark. Der Mann, der meine Olympia gegen das uralte Fahrrad eingetauscht hat, könnte nun ein gutes Geschäft machen, denkt der Oberinspektor. Es ist ihm einerlei.
Sie schieben sich durch das Gedränge, bis sie die ruhigen Straßen am Ostufer der Alster erreichen. Dort kommen sie rascher voran.
»Sie haben alles verstanden?«, fragt Stave zur Sicherheit noch einmal, bevor sie die Auffahrt zu Schramms Villa hinaufgehen.
»Ich weiß, was ich zu tun habe«, erwidert Kienle und klopft auf die Manteltasche, in der die Leica verborgen ist.
»Sie lassen nicht locker. Heydrich wäre stolz auf Sie«, begrüßt sie Schramm, als sie ihm ein paar Augenblicke später gegenübersitzen.
»Heydrich ist nicht mein Chef«, erwidert der Oberinspektor. Nur nicht provozieren lassen. »Sagt Ihnen der Name Rolf Rosenthal etwas?« Er hält den Atem an.
Dönnecke lässt den Fall vermodern. Der hat sich nie bei dem Bankier sehen lassen, deshalb wird Schramm keine Einzelheiten kennen vom Toten in den Trümmern, hofft Stave. »Wir haben in den Ruinen des Reimershofes ein Papier geborgen«, fährt er fort und betet, dass man ihm die Lüge nicht anhört, »auf dem dieser Name zu entziffern war.«
Schramm starrt ihn an, das rechte Auge halb zusammengepresst, das linke riesenhaft vergrößert hinter einem altmodischen Monokel. »Wie ich Ihnen schon einmal erklärte: In diesen Büros habe ich Sachen untergebracht, die ich in meiner Bank nicht lagern wollte«, erwidert er schließlich. »Personalakten jüdischer Mitarbeiter beispielsweise. Herr Rosenthal ist 1917 als vierzehnjähriger Lehrling in mein Haus eingetreten. Ein Jude mit verkrüppeltem Fuß, da war die Arbeitssuche auch schon im Kaiserreich schwierig. Aber ich habe sofort seine Qualitäten erkannt: ein geborener Zahlenmensch. Diskret. Strebsam. Verschwiegen. Er machte denn auch rasch Karriere. 1930 wurde er so etwas wie meine rechte Hand.«
»Und drei Jahre später?«
»Was glauben Sie? Dass ich ihn einfach entlassen habe? Ich beschäftigte ihn weiter. Seine Personalakte wanderte in den Reimershof.«
»Arbeitete Herr Rosenthal auch dort?«
»Gelegentlich. Aber es ließ sich nicht vermeiden, dass er oft in der Zentrale tätig war.«
»Hat er Sie auch in Belangen der Kunst beraten?«
Schramm blickt aus dem Fenster. »Herr Rosenthal war Prokurist«, antwortet er. »Warum stellen Sie mir eine so seltsame Frage?«
»Was ist aus Herrn Rosenthal geworden?«, will Stave wissen.
»Herr Rosenthal hatte eine große Familie. Seine Eltern lebten noch, dazu mehrere Geschwister. Fast alle sind lange in Europa geblieben, zu lange. Nur eine Nichte ist vor 1939 nach New York emigriert. Im Sommer 1940, nachdem Frankreich erobert worden war, hat mir Herr Rosenthal gestanden, dass er sich mit den Seinen über Paris bis nach Marseille durchschlagen wollte und von dort eine Passage nach Portugal oder Nordafrika zu ergattern hoffte. Alles sei vorbereitet. Seither habe ich ihn nicht mehr gesehen. Und nichts mehr von ihm gehört. Ich nehme an, man hat ihn unterwegs erwischt.«
»Darf ich mir die Hände waschen?«, unterbricht ihn Kienle. »Dieses
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