Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
komme.«
Ein paar Minuten später steht der schlanke, rothaarige Mann vor dem Oberinspektor, die Ledertasche mit seiner Leica über der Schulter.
»Können Sie auch kleine Objekte fotografieren?«, fragt Stave. »Ungefähr handgroß. In Innenräumen. Ohne Blitz.«
Kienle lacht. »Als ich für ›Signal‹ an der Front war, wäre kein Landser glücklich gewesen, wenn ich mit einer Blitzlampe herumhantiert hätte.« Er blickt in seine Tasche und zieht ein schmales Objektiv hervor. »Das Eins-fünfer Summarit. Ein Fünf-Zentimeter-Objektiv mit großer Blendenöffnung. Da kann ich auch noch Bilder unter der Bettdecke machen.«
»Noch bin ich nicht bei der Sitte«, brummt Stave. »Mit dem Objektiv können Sie die Leica in Ihre Jackett-Tasche stecken. Niemand wird sie bemerken.« Er kramt in seinen Schreibtischschubladen herum, bis er ein hölzernes Lineal findet. »Das müssen Sie auch noch bei sich verstecken.«
»Ich soll inkognito bleiben?«
»Lassen Sie den Rest Ihrer Ausrüstung hier. Sie kommen mit, ich stelle Sie als Mitarbeiter der Kriminalpolizei vor. Das ist ja nicht gelogen.«
»Wo soll ich heimlich Bilder schießen? Und wozu das Lineal?«
»Das erkläre ich Ihnen unterwegs. Wir nehmen einen Wagen.«
»Da kommen Sie zu spät. Seit Sie Benzin wieder an jeder Tankstelle kaufen können, rasen die Kollegen wie Bernd Rosemeyer über die Straßen. Jeder Vorwand ist recht, um aufs Gas zu drücken.«
»Dann gehen wir zu Fuß. Es ist nicht weit.«
»Ein Schwarzmarkt in der Umgebung?«
»Das ist nicht mehr unser Metier, Kienle. Es geht aufwärts mit Deutschland. Wir gehen zu einem Bankier.«
Als sie die Zentrale verlassen, tritt ihnen am bronzenen Elefanten neben dem Eingang eine massige Gestalt beinahe auf die Füße. »Melden Sie sich schon zum Streifendienst, Stave?«
Dönnecke. Es gibt im Moment niemandem, dem der Oberinspektor lieber aus dem Weg gegangen wäre. Die tiefliegenden, dunklen Augen huschen zwischen ihm und Kienle hin und her. Stave kann das Misstrauen seines Kollegen förmlich riechen. Der fragt sich, was ich mit dem Fotografen vorhabe, denkt er sich. Soll er ruhig nervös sein.
»Es gibt genug zu tun«, antwortet er laut und will sich an Dönnecke vorbeizwängen.
Doch da legt sich dessen behaarte Pranke auf seine Schulter. »Sie bearbeiten Schwarzmarktdelikte«, grollt der ältere Beamte. »Der Schwarzmarkt existiert nicht mehr, seit wir das alliierte Geld haben. Wozu brauchen Sie also unseren Lichtbildner?«
»Vertrauliche Ermittlungen.«
»Sie gehen doch nicht etwa zum Reimershof? Ich mag es nicht, wenn jemand seine Nase in Sachen steckt, die ihn nichts angehen.«
»Das mag ich auch nicht«, erwidert Stave und löst seine Schulter mit einem Ruck aus Dönneckes Umklammerung.
»Kollege Dönnecke in Hochform«, murmelt Kienle, als sie einige Schritte Abstand gewonnen haben. »Der Erfolg der neuen Mark lässt ihm die Adern schwellen. Ihm wäre lieber, halb Hamburg würde vor Hunger verrecken. Dann würde die andere Hälfte wieder nach einem Führer rufen.«
»Wollen Sie Dönnecke zum Feind haben?«, fragt Stave.
»Auf keinen Fall«, antwortet der Fotograf erschrocken.
»Dann hätten Sie besser nicht mitkommen sollen«, sagt der Oberinspektor und lächelt sardonisch. »Denn Sie stecken Ihr schönes Leica-Objektiv in einen Fall des geschätzten Kollegen.«
Sie laufen über den Valentinskamp und den Gänsemarkt. Stave erklärt Kienle, was er gleich tun soll. Er spricht gedämpft, doch diese Vorsicht könnte er sich schenken. Auf den Bürgersteigen drängen sich die Menschen, aber niemand achtet auf sie. Die Blicke kleben an den Schaufenstern. Ehrfürchtige Bewunderungen. Empörte Laute, wenn jemand auf ein Preisschild deutet. Männer, die mit in Packpapier eingewickelten Waren triumphierend aus Geschäftstüren treten. Tabakspfeifen in einem Laden. Der Oberinspektor hätte nicht gedacht, dass sie überhaupt noch in Deutschland produziert werden. Und nun liegen sie auf samtigen Auslagen da, als sei zwischen 1939 und 1948 nichts geschehen. Ein Oberbekleidungsgeschäft: Popeline-Hemden ab acht DM. Ein hellrotes Seidenkleid. Anna würde darin wundervoll aussehen, denkt Stave. Zweihundert Mark.
»Das ist wohl nichts für Ihr Beamtengehalt«, bemerkt Kienle, der Staves Blick gefolgt ist. »Aber das wird sich schon noch einpendeln.«
»Einpendeln?«
Der Fotograf deutet auf das Schaufenster eines Elektrogeschäfts. »Bügeleisen, 17,50 DM«, liest er vor. »Gestern war ich zufällig hier,
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