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Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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Rotationsromane. Ein zweiter Tisch, darauf ein altes Ölbild – der Rahmen gelöst, die Leinwand eingerissen. Beute aus einer Ruine, ein Stück, das gerade restauriert wird. Das große, viereckige Becken der ehemaligen Waschküche. Die Wände schwitzen Wasser aus. Ihm kommt es vor wie das Paradies.
    »Du überraschst mich«, sagt Anna und lächelt.
    »Ich überrasche mich selbst«, gesteht er. Und dann tut er, was er schon vor Monaten hätte tun sollen. Er geht den einen Schritt bis nah zu ihr, nimmt sie in die Arme und küsst sie.

Die letzte Spur
    Montag, 21.   Juni 1948
    Im Morgengrauen gleitet Stave aus dem schmalen Bett, ohne Anna zu wecken. Er zieht sich an, fingert einen Hausschlüssel aus der Handtasche seiner Geliebten und schließt behutsam die Wohnungstür hinter sich. Müssen ja die Nachbarn nichts hören. Nebel. Menschen auf den Bürgersteigen, mehr, als Stave zu so früher Stunde vermutet hätte. Er schlägt den Mantelkragen hoch und geht die wenigen Schritte bis zu einer Bäckerei, die er noch von seinen früheren Besuchen bei Anna her kennt.
    Ein paar Schritte davor bleibt er abrupt stehen: der Duft nach frischem Brot. Echtes Brot, echtes Mehl. Ihn schwindelt. In der Bäckerei ist es voll, aufgeregte Stimmen in dem kleinen Raum. Er glaubt, zu träumen: Auf den gläsernen Regalen reihen sich Weißbrote Laib an Laib, in Körben stapeln sich Brötchen, sogar Gebäck liegt auf. Wann hat er so etwas zuletzt gesehen? Vor acht Jahren?
    Er ist so betäubt, dass er zunächst gar nicht merkt, als er an der Reihe ist. »Sie wünschen?«, wiederholt die junge, dunkelhaarige Bäckerin. Freundlich, ungeduldig, ganz und gar wie in Friedenszeiten.
    »Zwei Rundstücke«, sagt er und hört, dass seine Stimme krächzt. »Nein, vier«, setzt er rasch hinzu. Warum noch sparen? An der Wand hinter der Bäckerin hängt ein handgeschriebenes Plakat: »Keine Punkte! Keine bewirtschaftete Ware!«
    Stave schiebt einige von den neuen Pfennigscheinen über den Tresen. Er saugt den Brötchenduft ein, betastet die feste, hellgelbe Kruste. Noch warm. Jemand drängelt ihn fort.
    Als er in die Wohnung in der Röperstraße 6 zurückkehrt, hat Anna Ersatzkaffee aufgebrüht. Das wird sich auch bald ändern, denkt er. »Schau, was ich uns mitgebracht habe!«, ruft er und hebt die Papiertasche mit den Brötchen. Ihr Duft füllt den Raum. »Meine schönste Morgengabe.«
    »Deine zweitschönste Morgengabe«, erwidert Anna ernsthaft, küsst ihn und streift dabei seinen Mantel von den Schultern.
    Später sitzen sie am wackeligen Tisch. Die schäbigen Wände, die gesprungenen Tassen sieht Stave nicht mehr. Er kaut bedächtig auf einem Brötchen, genießt jeden Bissen, zögert es hinaus, bis er ihn hinunterschluckt.
    »Es ist unfassbar, dass plötzlich alles wieder da ist«, murmelt Anna. »An einem Tag hungern wir. Und als wir am nächsten Morgen aufwachen, ist alles so wie in der guten alten Zeit.«
    »Die Waren müssen schon länger da gewesen sein. Das Mehl für die Brötchen. Die Strümpfe und Pfannen in den Schaufenstern. Es hat sie nur niemand verkauft. Jetzt haben wir das neue Geld und alle wittern das große Geschäft.«
    Sie plaudern über das, was sie sich kaufen wollen. Darüber, wie viel er nun jeden Monat in der Lohntüte haben wird und ob das Geld reichen wird, wenn man sich all die Dinge kauft, die man seit so langer Zeit entbehrt. Es wird nicht reichen, auf Jahre hin. Aber was macht das schon? Sie reden auch über die letzte Nacht, neckend und verliebt. Über ihre oder seine Vergangenheit verlieren sie kein Wort.
    Doch als sie den letzten Krümel vertilgt haben, blickt ihn Anna über den Rand ihrer Tasse hin an, aus der noch die Schleier des heißen Ersatzkaffees wabern. »Wie geht es weiter mit uns?«
    »Heirate mich!«, ruft Stave und ist selbst beinahe erschrocken über seinen Ausbruch.
    Sie wird blass, dann schießt ihr Röte in die Wangen. »Du weißt, dass das nicht geht«, flüstert sie. »Ich bin nicht geschieden. Und wenn ich mich scheiden lassen wollte, dann wird die alte Geschichte bekannt. Man wird Fragen stellen. Man wird Papiere sehen wollen und Nachforschungen anstellen.«
    Da steht er auf und schließt sie in die Arme. »Niemand wird Nachforschungen anstellen«, flüstert er und schüttelt einen Moment später den Kopf, als ihm klar wird, was er da gesagt hat. »Das ist wohl der seltsamste Satz, den ein Oberinspektor von sich geben kann«, erklärt er. »Es gibt keine Anna von Gudow. Die Papiere mit diesem Namen

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