Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Drehung beinahe in den Abgrund getaumelt wäre. Der Gehstock in seiner Linken zittert. Stave lässt den Ziegelbrocken aus seiner Hand fallen. »Tun Sie es nicht«, wiederholt er, nun ruhiger. Er kommt noch einen Schritt näher.
»Bleiben Sie, wo Sie sind! Ich habe Sie und Ihresgleichen so satt.«
»Das ist kein Verhör«, fährt der Kripo-Mann fort. »Es geschieht Ihnen nichts. Lassen Sie uns einfach diese Treppe hinuntergehen. Unten können wir reden, wenn Sie wollen.«
Schramm lacht bitter auf. »Sie wollen mich zum Reden bringen? Sie kennen doch schon meine Geschichte – sonst wären Sie jetzt nicht hier.«
»Das war Zufall«, erklärt der Oberinspektor. »Ich will den Fall zu den Akten legen. Erledigt, versprochen. Ich wollte nur noch einen letzten Blick auf den Fundort werfen. Da tauchten Sie plötzlich auf.«
»Ich habe es mir also doch nicht eingebildet, dass ich eine Bewegung gesehen habe, bevor ich den Reimershof betrat.«
»Warum sind Sie gekommen?«
Schramm deutet nach unten. »Um zu sehen, ob ich nicht doch noch das eine oder andere Kunstwerk finde.«
»Es sind alles Ihre Kunstwerke. Ihre Sammlung.«
»Sammlung?« Schramm lacht bitter auf. »Ein Asyl, geschaffen von einem Narren. Ich habe ab 1933 alle Werke gekauft, die diese Barbaren geraubt haben – alle, die ich irgendwie kaufen konnte. Es waren wenig genug. Meistens erhielt ich keine Spitzenstücke. Die haben die Herren Nazis teuer ins Ausland verkauft. Aber an die nicht so bekannten Werke konnte ich herankommen. An den Männerkopf etwa. Ich habe sie bei mir versteckt. In der Hoffnung auf bessere Zeiten.«
»In Ihrer Villa.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ein Familienfoto an der Wand hat es mir verraten.«
Der Bankier schaut ihn verwirrt an, nickt schließlich resigniert. »Irgendeinen Fehler begeht man immer. Gut, dass Sie nicht bei der Gestapo waren. Die Besuche Ihrer Kollegen haben mich dazu getrieben, meine Kunstwerke anderswo zu verstecken. Im Reimershof.« Er schüttelt den Kopf. »Was war ich für ein Narr. In meinem Haus ist nicht eine Dachschindel angekratzt worden in all den Jahren. Und sehen Sie sich nun das Kontorhaus an.« Er deutet in die Tiefe. Wieder schwankt er kurz. Er muss tödlich erschöpft sein, durchfährt es Stave.
»Es war mir von Anfang an klar, dass Ihnen die Verbindung von den Kunstwerken zu mir nicht lange verborgen bleiben würde«, fährt Schramm fort.
»Ich hätte es aber niemals beweisen können. So, wie ich auch andere Verbrechen niemals beweisen kann.« Der Oberinspektor deutet auf den Gehstock seines Gegenübers. Inzwischen ist er noch einen Schritt nähergekommen. »Sie haben Rolf Rosenthal damit erschlagen. Im Sommer 1943. Ihren Prokuristen, Ihre rechte Hand. Einen Juden, den Sie selbst unter großer Gefahr jahrelang geschützt haben. Ich frage mich, warum Sie das getan haben.«
»Das frage ich mich auch, die ganze Zeit schon.« Der Bankier reibt sich mit der Rechten über die Augen. Er hat aber sein Monokel vergessen. Plötzlich segelt das runde Glas aus seinem Gesicht, ein Splitter Licht in der Luft, dann ist es verschwunden. Stave nutzt diese Ablenkung, um wieder einen Schritt zu wagen.
»Ich hätte nie gedacht, dass man in einer einzigen panischen Sekunde ein Leben zerstören kann. Oder sogar zwei.« Schramms Gesicht ist nun grau, die befehlsgewohnte Stimme klingt müde. »Ich habe Sie nicht angelogen: Die Büros im Reimershof hatte ich schon lange angemietet, um dort diskrete Geschäfte zu tätigen. Geschäfte, die gewissen Herren der Gauleitung oder gar in Berlin ganz sicher nicht gefallen hätten. Mitte 1939 fing ich an, dort auch meine Objekte zu verstecken.«
»Auch das Bronzeporträt der Anni Mewes.«
»Das schönste Stück dieser bunten Exilantenschar. Die Mewes habe ich sogar mal im Theater gesehen, als sie noch jung war.« Er lacht wehmütig. »Ich habe die Kunstwerke im Reimershof auf ein Regal gestellt. Hinter Akten verborgen. Nur die Mewes habe ich vor den Ordnern platziert. Ich konnte es einfach nicht ertragen, dieses junge Frauengesicht im Dunkeln verschwinden zu lassen. Sentimentalität.« Der Bankier schweigt eine Zeitlang. Stave betet, dass die Windböen schwächer werden, die den dunklen, beschmutzten Mantel des Mannes über den Abgrund flattern lassen. »Im September 1941 gewährte ich dann auch Herrn Rosenthal Unterschlupf in den Büros.«
»Im September 1941?«
Schramm starrt ihn zornfunkelnd an. »Wo waren Sie, als die Juden, die noch im Reich lebten, den gelben Stern
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