Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
schließlich und merkt selbst, dass das nicht gerade beeindruckend klingt.
Da lacht der junge Brite, schlägt ihm auf die Schulter, schüttelt seine Hand. »Die Monate in Hamburg waren meine beste Zeit in der Army!«, ruft er. »Noch ein paar Dienstjahre, dann bin ich frei. Vielleicht sollte ich mich anschließend bei Scotland Yard bewerben?«
»Ich werde Ihnen ein Empfehlungsschreiben mitgeben«, verspricht Stave und lächelt nun auch, obwohl er niedergeschlagen ist.
Nach und nach erscheinen noch fünf weitere britische Offiziere in Ausgehuniform und mit Gepäck – aber ohne Begleitung. Wo Ernas Sohn wohl ist? Stave fragt sich, ob sie ihn je wiedersehen wird. Und ob sie in diesem Augenblick genau dasselbe denkt wie er.
Ein langer Ton aus einem Schiffshorn, plötzliche Aufregung. Koffer und Seesäcke, die hochgewuchtet werden, hastige Sätze, Händeschütteln, verlegenes Winken. Wenn Anna ihm nicht den Ellbogen in die Rippen gestoßen hätte, hätte Stave den Blumenstrauß vielleicht gar nicht mehr übergeben. Er hüstelt und reicht ihn Erna mit einer linkischen Verbeugung.
»Manchmal vermisse ich die Arbeit«, sagt sie und ein Hauch Röte schießt in ihre Wangen.
»Die Hamburger Krimsches werden nie wieder einen Fall aufklären ohne Sie«, erwidert Stave.
»Was werden Sie tun? Nun, wo Sie nicht mehr bei der Mordkommission sind und das Chefamt S aufgelöst wird?«
Stave hebt die Schultern. »Das weiß ich noch nicht.«
»Versprechen Sie mir, dass Sie nicht zur Sitte wechseln.«
Da lacht er und nickt. »Auf Bordsteinschwalben und ihre Beschützer werde ich gerne verzichten.«
»Seien Sie mir jetzt bitte nicht böse!«, ruft Erna Anna zu und zwinkert ihr zu – und dann stellt sie sich auf die Zehenspitzen und küsst Stave auf die Wange.
»Gut, dass wir beide nicht im Dienst sind«, murmelt er.
»Entschuldigen Sie, dass ich mich einmische«, sagt MacDonald, »aber ich bin Brite. Sentimentalitäten sind mir peinlich. Gehen wir an Bord?«
»Sie haben mir immer noch nicht verraten, wie Sie von der Elbe aus bis nach Berlin kommen wollen.«
»Wir werden fliegen, alter Junge! Uncle Joe in Moskau muss noch einiges lernen, wenn er einem Lieutenant Seiner Majestät den Weg versperren will!«
MacDonald deutet stromab. Am anderen Elbufer, hinter Regenschauern kaum zu erkennen, schwimmen zwei graue Schatten auf den Wellen. Stave, der bislang nicht darauf geachtet hat, hatte sie für Frachtkähne gehalten. Erst jetzt erkennt er, dass es gewaltige viermotorige Wasserflugzeuge sind. Auf den Flanken der mehr als 25 Meter langen Rümpfe leuchtet das runde, blau-rote britische Hoheitszeichen.
»Der Elbe-Havel-Express«, erklärt der Lieutenant. »Unsere amerikanischen Freunde fliegen Lebensmittel, Kohle, Medikamente und alles, was die Russen sonst noch blockiert haben, mit ihren DC-3s in die Stadt. Wir steuern auch ein paar Short Sunderland bei. Im Krieg haben die Kameraden U-Boote gejagt. Jetzt fliegen sie Konserven hin und her. So kann man auch Karriere machen. Zwischen Salzsäcken und Corned-Beef-Dosen wird ein Plätzchen für meine Damen und mich frei sein.«
Stave denkt an die Bomberflotten zurück, die über Hamburgs Himmel zogen, an explodierende Flakgranaten, an die Leuchtbalken der Scheinwerfer, an brennende Maschinen und die taumelnden Schatten von Piloten, die an Fallschirmen in die Schwärze fielen. »Das wird keine Erholungsreise«, sagt er.
»Keine Sorge, alter Junge. Die Russen schießen nicht auf uns. Noch nicht. In einer Stunde kreisen wir über dem Brandenburger Tor.«
»Das Wetter ist nicht gut.«
»Wir sind Engländer. Wir werden erst unruhig, wenn die Sonne scheint.«
»Sie haben auf alles eine Antwort.«
»Wie ein guter Polizist. Ich sollte mir wirklich überlegen, zu Scotland Yard zu wechseln.«
»Was den Vorteil hätte, dass Sie in London arbeiten würden. Und nicht in Berlin.«
Vorsichtig tragen zwei deutsche Matrosen und die englischen Soldaten den Kinderwagen in die Barkasse. Erna steigt hinzu, Iris im Arm. MacDonald schüttelt ihm noch einmal die Hand. »Wir hören voneinander.« Eine Feststellung, keine Frage.
Stave lächelt und versucht sich mit der Rechten zur Hutkrempe an einem militärischen Gruß. Dann röhrt der Bootsmotor auf. Die Barkasse stampft in den Wellen und nimmt Kurs auf das andere Ufer vor Finkenwerder. Die Menschen an Bord ducken sich gegen Regen und Gischt hinter dem Schanzkleid. Nur einer bleibt am Heck aufrecht stehen und winkt.
»Ein Glückskind«,
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