Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
zurückhaben will. »Mag sein, dass wir jemanden unverhofft glücklich machen«, murmelt er. »Wir müssen bloß herausfinden, wer im Reimershof bis 1943 Räume gemietet hat.«
Stave bemerkt erstaunt, dass Ramdohr plötzlich eine Art soldatische Haltung annimmt. »Oberinspektor Dönnecke kommt«, zischt er.
Der massige Kollege steigt über den Schutt, gefolgt von drei jüngeren Beamten, die nur mühsam mit ihm Schritt halten können. »Kaum sind Sie nicht mehr auf unserem Flur, schon laufen Sie mir draußen über den Weg, Stave«, brummt er.
»Ihr Toter, meine Kunst.«
»Ihre sogenannte Kunst sieht nicht besser aus als meine alte Leiche.«
»Das eine hat vielleicht mit dem anderen zu tun.«
»Und die Welt ist eine Scheibe, und der Führer hat sich bloß in den Alpen versteckt. Erzählen Sie mir keine Märchen, Kollege. Sie kommen nicht zurück zur Mordkommission, auch nicht durch die Hintertür.«
»Der Tote und diese Objekte liegen im selben Haus.«
»Jetzt, da Sie das sagen, erkenne ich es auch. Wahrscheinlich sind sie sogar von derselben Bombe erwischt worden. Na und? Ich stelle sicher, dass die Todesursache eine Kriegsfolge war und nichts anderes, dann versuche ich herauszufinden, wer der Kerl war. Sie kümmern sich um Ihre Funde. Vielleicht ist meine Leiche wirklich das, was vom Besitzer Ihrer Kunst übriggeblieben ist. Dann heften wir am Ende unsere Akten zusammen und legen sie in die Ablage zur ewigen Vergessenheit. Aber bis dahin kreuzen Sie nicht in meinem Büro auf, ist das klar?«
Ramdohr grinst, bemerkt, dass Stave ihn anstarrt, bringt seine Gesichtszüge wieder in Ordnung. »Immer wieder eine Freude, mit Ihnen zusammenzuarbeiten«, erwidert Stave und gibt dem Schupo ein Zeichen. »Besorgen Sie Kisten oder Kartons. Wenn Kienle mit den Fotos fertig ist, packen wir die Funde ein und bringen sie im Streifenwagen zur Zentrale.«
Er sieht zuerst dem Oberwachtmeister nach, der durch den Mauerspalt verschwindet. Dann ein unauffälliger Blick hinüber zu Dönnecke. Der hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, in die Senke zu steigen, in der die Leiche liegt. Zwei jüngere Beamte schleichen dort langsam und, wie der Oberinspektor findet, etwas ratlos um den Toten herum. Der dritte steht neben seinem Vorgesetzten und hat einen Block gezückt, bereit zum Diktat. Doch offenbar hat Dönnecke nur wenig zu sagen, der angekaute Bleistift bewegt sich kaum. Der tut nicht einmal so, als ob er ernsthaft nachforschen will, denkt Stave, dann zuckt er die Achseln. Warum auch? Zehntausende sind in Hamburg während der Bombenangriffe gestorben. Seit Jahren finden Polizisten überall Leichen und das wird noch viele Jahre so weitergehen. Nicht mehr mein Problem, sagt er sich.
Doktor Czrisini erscheint, der Rechtsmediziner. Er schleppt seinen Arztkoffer, als lägen Bleiplatten darin. Sein ehemals rundlicher Körper ist abgemagert, die Haut im Gesicht schimmert gelblich, die Augen hinter der dicken Hornbrille liegen tief in schwarz umrandeten Höhlen. Nur die Woodbine, die zwischen seinen Lippen glimmt, hat sich nicht verändert.
»Sie sollten eine Kur machen«, begrüßt Stave ihn. »Ein paar Wochen an der Nordsee würden Ihnen guttun.«
»Einen verregneten Sommer kann ich auch in Hamburg haben«, erwidert Czrisini keuchend. Dann senkt er die Stimme: »Habe gehört, Sie gehören nicht mehr zur Truppe?«
»Ich mache jetzt in Kunst und unterschlagener Butter.«
»Der Schwarzmarkt hat keine Zukunft mehr, Stave. Das Chefamt S ist eine Endstation.«
Der Oberinspektor lacht. »Ihre Abteilung ist die Endstation!«
»Nicht für denjenigen, der sich noch auf zwei Beinen halten kann. Sehen Sie es als eine Art ärztlichen Ratschlag: Kehren Sie zur Mordkommission zurück.«
»Damit Sie nicht nur mit Kollegen wie Dönnecke zu tun haben?«
»Um Dönnecke mache ich mir keine Sorgen«, erwidert Czrisini, bevor er sich unter einem Hustenanfall krümmt.
Stave muss nicht sehr lange auf Kienle warten. »Wussten Sie, dass meine Leica mal einem Kriegsberichterstatter gehörte?«, sagt der Fotograf, als er zum Kripo-Beamten in die Grube stolpert. »Frankreichfeldzug, Norwegen, Ostfront, Feindfahrt auf einem U-Boot, sie hat alles klaglos überstanden. Aber dieser verdammte Hamburger Regen wird sie noch ruinieren.«
»Wie sind Sie an die Kamera eines Kriegsberichterstatters gekommen?«
»Ich war dieser Kriegsberichterstatter.« Kienle lacht. »Eines meiner Bilder hat es sogar auf den Titel von ›Signal‹ gebracht! Nach dem Mai 1945
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