Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
verdammt.
»Es ist nicht Ihr Fall, Stave«, erwidert der Rechtsmediziner und steckt sich eine neue Woodbine an der alten an. »Aber da Sie so neugierig sind, können Sie heute Abend bei mir im Institut vorbeischauen. Man weiß nie, welche Überraschungen der Seziertisch für einen bereithält.«
»Ich sollte das nicht tun«, antwortet der Oberinspektor. »Wenn Dönnecke das erfährt, gibt es Ärger.«
»Bis später also«, sagt Czrisini und hebt zum Abschied die Hand.
Kurz darauf steht Stave etwa zwanzig Frauen gegenüber, die sich vor dem Regen unter die Betondecke eines fast ganz zerstörten Nachbarhauses geflüchtet haben. Die meisten tragen alte Blusen oder Arbeitskittel in verwaschenen Farben, schwere Schuhe, sie haben sich Kopftücher gegen den Staub umgebunden. Einige tragen Arbeitshandschuhe aus Leder, viele haben sich Schutzbrillen, die früher die Kradmelder der Wehrmacht trugen, während dieser erzwungenen Pause in die Stirn geschoben. Bei der Arbeit schützen sie die Augen vor dem beißenden Steinstaub.
Eine aus ihrem Kreis, die der Kripo-Beamte auf Anfang vierzig schätzt, tritt vor und schüttelt ihm die Hand. Raue Haut, in ihren dunklen Brauen hat sich trotz der Nässe mehliger grauer Staub verfangen.
»Karla Riel«, sagt sie. »Wann dürfen wir weitermachen?«
»Tut mir leid, dass Sie warten mussten. Und auch, dass Sie den Toten sehen mussten.«
»Ich habe mehr Tote gesehen als Sie«, erwidert die Frau gleichmütig. »Und wir haben im Bauschutt schon Leichen gefunden, die schlimmer aussahen als dieser Kerl.«
»Am schrecklichsten sind die Kinderkörper«, wirft eine aus der Gruppe ein. Die anderen starren sie an – Stave kann nicht entscheiden, ob warnend oder tadelnd.
»Mich interessieren die Kunstwerke.«
»Dafür kommt extra einer von der Polente her?« Karla Riel schaut ihn überrascht und ein wenig misstrauisch an. »Sie wollen nichts über den Toten wissen?«
»Den Fall bearbeitet mein Kollege.«
»Der überarbeitet sich wohl nicht. Sind die Sachen wertvoll?«
»Warum fragen Sie das?«
»Warum fragen Sie uns sonst? Es kreuzt ja auch nicht jedes Mal ein Wachtmeister auf, wenn wir ein Ofenrohr oder einen Stromzähler aus den Trümmern holen.«
»Ich vermute, die Objekte sind teurer als ein Ofenrohr.«
»Sah ganz schön gruselig aus, dieser Metallkopf im Dreck.« Karla Riel lacht unsicher. »Irgendwie habe ich mich mehr erschrocken, als wenn das ein echter Schädel gewesen wäre. Seltsam, nicht?«
Stave stellt noch ein paar Fragen. Trümmerfrauen schleppen mit bloßen Händen unzählige Kubikmeter Schutt aus der verwüsteten Stadt. Ohne den Müll, den sie fortschaffen, würde Hamburg in seinen Ruinen ersticken – und ohne die Ziegel, die sie mühsam bergen, und ohne die von ihnen freigelegten Rohre, Kabel, Fenster, Türen wäre noch kein einziges Haus wieder aufgebaut. Er hütet sich davor, Karla Riel und ihre Kolleginnen scharf zu verhören. Er bleibt höflich und ist bald sicher, dass ihm die Trümmerfrauen nichts verheimlichen: kein weiteres Bronzestück, das eine von ihnen unter ihrem Kittel wegschmuggeln will. Keinen Hinweis auf den Besitzer, eine Brieftasche etwa, keine Spur, die ihn noch irgendwie weiterbringt. Er notiert ihre Namen und nickt. »Der Reimershof gehört wieder Ihnen. Aber rufen Sie bitte die Polizei, wenn Sie weitere Kunstwerke finden.«
»Diese Sachen werde ich mir garantiert nicht zu Hause auf die Kommode stellen«, antwortet Karla Riel und zieht den Knoten ihres Kopftuchs fester.
In der Rechtsmedizin
Abends schlendert Stave zum Institut für Gerichtliche Medizin und Kriminalistik in der Neuen Rabenstraße. Aus dem Regen ist eine Art feinster Nebel geworden, der Kripo-Mann fühlt sich, als ginge er durch sanfte, kühle Seidentücher. Langsam dringt Feuchtigkeit durch die dünnen Schuhsohlen, seine Füße werden klamm, so als mache er eine Wattwanderung. Czrisinis Reich ist eine alte Villa mit einigen vernagelten Fenstern und einem Putz, der in der feuchten Luft die gelbliche Farbe billigen Papiers angenommen hat.
»Wo ist das Objekt meiner Neugier?«, fragt der Oberinspektor.
»Im Kühlraum. Ich hatte bisher weniger Zeit als gedacht. Ich musste für einen erkrankten Kollegen einspringen und ein paar Studenten einen Trick zeigen.« Er deutet auf einen Schädel, dessen Knochennähte aufgesprengt sind. Neugierig tritt Stave näher.
»Sie haben Erbsen in den Kopf gelegt?«, entfährt es ihm.
»Man lässt trockene Erbsen von unten in den Totenschädel
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