Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Lager eines verwahrlosten Museums, wirkt wie der Lagerraum einer Firma, die Konkurs angemeldet hat. »Was tun Sie hier?«
»Ich räume auf. Was tun Sie hier?«
»Ich habe einen Spaziergang gemacht. Reiner Zufall. Ich habe Licht im Haus gesehen. Geht es Ihnen gut?«
»Weil ich aufräume?« Czrisini lacht. »Man soll auch im Alter noch Neues lernen. Ich lerne, Ordnung zu schaffen. Ich versuche es zumindest.«
Irgendwie ist Stave beunruhigt, ohne dass er weiß, warum. »Wenn Sie das gelernt haben, können Sie bei mir vorbeischauen«, sagt er und tippt zum Abschied mit der Rechten an die Hutkrempe.
»Warten Sie noch!«, ruft der Rechtsmediziner. »Ich kann Ihnen etwas zeigen, falls sie noch nicht zu müde dafür sind.«
»Der Tote aus dem Reimershof? Das würde mich munter machen.«
Czrisini lächelt und geht voran. Er schlurft, denkt Stave. Früher war der Rechtsmediziner oft der Erste am Fundort einer Leiche, agil wie ein aufgeregter kleiner Hund. Czrisini legt einen Lichtschalter um, führt ihn über enge Flure bis in den Keller mit den Seziertischen. Aus einem Wandregal holt er einen Karton hervor und öffnet ihn.
»Seien Sie vorsichtig. Der Stoff ist empfindlich nach so vielen Jahren unter Dreck und Trümmern.«
»Die Kleidung des Toten?«
»Die Reste davon. Das, was auf dem Skelett geborgen werden konnte. Der Tote lag auf dem Rücken. Die Kleidungsfetzen sind nur vorne auf den Rippen, dem Becken und den Beinknochen erhalten, dazu die speziellen Lederschuhe an den Füßen, die Sie schon kennen. Keine Geldbörse, keine Dokumente, keine Münzen oder Schlüssel in den Taschen.«
»Der Bombenangriff fand im Sommer 1943 statt. Ein warmer Tag, wenn ich mich recht erinnere.«
»Und noch wärmer, als dann der Feuersturm ausbrach«, Czrisinis Stimme verliert sich. »Jedenfalls haben Sie wohl recht: Der Mann trug zum Zeitpunkt seines Todes wahrscheinlich leichte Kleidung. Sommerhose ohne Gürtel, ein helles Hemd, darüber ein blaues Jackett.«
»Damit wird Dönnecke nicht viel anfangen können.«
»Er weiß es nicht.«
»Warum haben Sie den Mund gehalten?«
»Ich habe nicht den Mund gehalten, der Kollege hat sich die Ohren zugehalten. Der Herr Oberinspektor war an meinen Funden nicht sonderlich interessiert. Er wollte wohl den Fall so rasch wie möglich zu den Akten legen. Er wimmelte mich jedenfalls ab. Steht selbstverständlich trotzdem alles in meinem Bericht. Doch der wird wohl ungelesen zerfallen – so wie dieser interessante Hinweis, den ich zwischen Jackett und Hemd in Brusthöhe des Toten gefunden habe.« Der Rechtsmediziner holt mit einer Pinzette einen gezackten Stoffrest aus einem Umschlag, der unter den anderen Kleidungsresten in der Box verborgen war. Gelb, darauf Reste einer schwarzen Beschriftung.
»Das kommt mir bekannt vor«, murmelt Stave düster. »Ein Judenstern.«
Nachdem er sich von Czrisini verabschiedet hat, geht der Oberinspektor den langen Rest des Weges bis zur Ahrensburger Straße, im Kopf viele Gedanken. Am 1. September 1941 wurden alle Juden im Reich gezwungen, den gelben, sechszackigen Stern zu tragen. Er erinnert sich noch recht gut daran, da ihre Vorgesetzten sie damals anwiesen, »verstärkt auf peinlichste Einhaltung dieser Vorschrift« zu achten und jeden polizeibekannten Juden, der das Zeichen nicht deutlich sichtbar angeheftet hatte, sofort zu verhaften. Er war sich schäbig vorgekommen, als er danach über die Mönkebergstraße patrouillieren musste. Tatsächlich hatte er einen Juden entdeckt, einen Ohrenarzt, bei dem Karl als kleines Kind einmal gewesen war, zu einer Zeit, als Juden noch Nichtjuden in ihren Praxen behandeln durften. Der Mann war ohne Stern über Hamburgs prachtvollste Einkaufsstraße geschlendert. Geradezu herausfordernd, fand der Oberinspektor. Er hatte den Arzt weder angesprochen noch verhaftet, sondern so getan, als kannte er ihn nicht. Anschließend hatte er sich tagelang gesorgt, ihn könnte dabei jemand beobachtet und wegen Pflichtverletzung denunziert haben. Aber nichts war geschehen. Den Arzt hatte er auch nie wieder gesehen.
Im Sommer 1943 waren Menschen mit dem gelben Stern aus Hamburgs Straßen verschwunden. Die wenigen Bürger, die überhaupt davon sprachen, sagten: »In den Osten umgesiedelt.« Wenn der Tote aus dem Reimershof tatsächlich ein Jude gewesen war, dann war er im Sommer 1943 definitiv an einem Ort gewesen, an dem er längst nicht mehr hätte sein dürfen. Ein Jude, der untergetaucht war und sich in einem unbenutzten Büro
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