Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Geschichte sollte Ihnen eine Lehre sein – so wie mir. Er war Kommodore der deutschen Schnellbootflotte. Er hat drei fahnenflüchtige Matrosen erschießen lassen – am 10. Mai 1945, also nach der Gesamtkapitulation Deutschlands. Ich habe ihn angeklagt.«
»Sie sind gefürchtet in den Kreisen der alten Arier.«
»Vielleicht nicht mehr lange. Ich habe diesen Prozess nämlich gestern verloren. Freispruch. Selbstverständlich werde ich Berufung einlegen. Aber auch in die nächste Instanz gehe ich nicht übermäßig optimistisch, um es vorsichtig zu formulieren.«
»Sie werden Dönnecke nicht anweisen, die Ermittlungen wieder aufzunehmen?«
»Petersen hat nach Kriegsende mehr oder weniger in aller Öffentlichkeit drei Männer erschießen lassen. Dafür gibt es Zeugen, Dokumente, ja, der Kerl selbst leugnet die Tat nicht einmal. Und trotzdem bekomme ich ihn nicht für einen einzigen Tag ins Gefängnis. Und Sie präsentieren mir in Ihrem Fall bloß ein paar gelbe Stofffetzen und Kratzer unter alten Ledersohlen.«
»Das reicht nicht für eine Anklage«, gibt Stave zu, »aber es reicht, um die Ermittlungen weiterzuführen.«
»Bei der Mordkommission. Nicht beim Chefamt S.« Ehrlich mustert sein Gegenüber lange, der traurige Blick einer alten Eule. »Wie bedauerlich, dass Sie sich haben versetzen lassen«, murmelt er schließlich. »Ich könnte Dönnecke mit meinem Wissen über den Judenstern konfrontieren. Ich könnte Druck ausüben. Ich könnte ihn zwingen, weiter zu ermitteln.«
»Aber Sie können nicht ständig an Dönneckes Seite kleben. Sie sind der Staatsanwalt, aber der alte Kollege ist derjenige, der die Ergebnisse heranschaffen soll. Wenn er seinen dicken Hintern nicht aus dem Büro heben will, dann bekommen Sie nichts, womit Sie eine Anklage zusammenbauen können.«
»Und was schlagen Sie vor?«
»Ich könnte ermitteln. Heimlich. Diskret«, verbessert sich Stave rasch.
»Genau diese Antwort hoffte ich zu hören«, sagt der Staatsanwalt und lächelt dünn. »Ich ziehe keinen Schlussstrich. Niemals. Hören Sie sich um, Herr Oberinspektor, diskret selbstverständlich. Stellen Sie Ermittlungen an, diskret. Halten Sie mich über alles auf dem Laufenden, diskret. Nutzen Sie den Fall mit den Kunstwerken als Tarnung. Vielleicht haben die Skulpturen sogar etwas mit dem Toten zu tun? Geben Sie dem Toten einen Namen zurück. Geben Sie mir Beweise, dass es sich tatsächlich um einen Mord gehandelt hat. Dann werde ich Anklage erheben, zunächst gegen Unbekannt. Und später, wenn Sie vielleicht mehr ermittelt haben, wer weiß?«
»Wenn man mich dabei erwischt, wie ich mich heimlich in Ermittlungen der Mordkommission einmische, bin ich geliefert«, murmelt Stave. »Dönnecke wird meinen Kopf fordern. Und Cuddel Breuer wird keinen Finger mehr rühren, um mich zu schützen. Der hält mich für einen Versager.«
»Die perfekte Tarnung für das, was Sie vorhaben. Und es gibt da ja immer noch mich«, beruhigt ihn der Staatsanwalt.
»Ich halte Sie auf dem Laufenden. Diskret«, brummt Stave und stemmt sich aus dem Stuhl hoch. Er überlegt, ob es wirklich eine gute Idee war, dem Staatsanwalt diese heimliche Zusammenarbeit anzubieten. Aber irgendwie fühlt er sich besser. Leichter. Wacher. Das alte Gefühl ist wieder da: Jagdfieber.
»Ach, Stave«, Ehrlich hebt die Rechte zu einer Art Gruß, als der Oberinspektor schon den Griff der Bürotür umklammert. »Willkommen zurück an Bord!«
Eine Stunde später rumpeln Stave und Ruge in einem alten Streifenwagen über die Straßen. Den Oberinspektor durchflutet der seltsame Reiz der Macht, der sich daraus speist, dass er ein Geheimnis hat, das er mit keinem Kollegen teilen kann. Wie ein Geheimagent, denkt er. MacDonald würde mir lachend auf die Schulter klopfen, wenn er davon wüsste. Die Gummis des Scheibenwischers sind seit Wochen zerrissen und hinterlassen halbkreisförmige Streifenmuster auf dem Glas. Nicht einmal der Polizei ist es gelungen, Ersatz zu beschaffen, da längst keine Werkstatt mehr Vorkriegsware auf Lager hatte, und die Herstellung neuer Scheibenwischergummis gehört momentan nicht gerade zu den Prioritäten der deutschen Industrie. Der Oberinspektor fährt langsamer, als er möchte, blickt angestrengt durch die schlierige und beschlagene Frontscheibe.
»Vorsicht auf den nassen Straßen. Die Reifen haben kaum noch Profil«, mahnt der junge Schupo.
»Ich war Panzerfahrer an der Ostfront.«
Als Ruge ihn mit großen Augen anstarrt, verzieht der Kripo-Mann
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