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Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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in dem Kontorhaus versteckt hatte? Einem Büro, das jemandem, der sich nicht auf die Straßen wagen durfte, bei einem Bombenangriff zur Todesfalle wurde?
    Dönneckes Fall, ruft er sich ins Gedächtnis. Doch der alte Kollege kümmert sich nicht darum. Und selbst wenn er doch noch von dem Judenstern erfahren sollte: Nachdem Millionen Juden gestorben sind, würde sich ausgerechnet ein Dönnecke Mühe geben, das Schicksal oder wenigstens den Namen eines einzigen toten Juden aufzuklären?
    Ich hätte vielleicht doch bei der Mordkommission bleiben sollen, sagt sich Stave. Sind Menschen und Schicksale nicht wichtiger als Sachen, und seien es Kunstwerke? Aber er denkt auch an Annas Kommentar, als er ihr von seinem Wechsel berichtet hatte. Das schlichte »gut«. Sie hat die Mordkommission gehasst wie eine Rivalin: All die Fälle haben Staves Zeit gestohlen, abends, an Wochenenden, nachts. Und wer sich jeden Tag mit Mord und Totschlag abgibt, dessen Geist wird irgendwann vergiftet von ständigem Misstrauen, von ewigen Fragen. Sie hat es nicht mehr ausgehalten. Das – und die Blicke von Karl, der aus dem Krieg zurückkam und statt seiner Mutter nun Anna an der Seite seines Vaters sah.
    Zu Hause findet er noch ein Brot im Küchenschrank. In der feuchten Luft hat sich weißer Schimmel auf der Oberseite des Laibes gebildet. Er schneidet ihn sorgfältig ab, darauf bedacht, möglichst wenig wegzuwerfen. Dann zerteilt er das Brot in Scheiben, kaut jede einzelne sorgfältig durch. Wasser aus dem Hahn. Die letzte saure Gurke aus einem Glas. Er hat noch ein paar matschige Kartoffeln, doch er ist plötzlich zu müde, sie auf seiner Brennhexe zu kochen. Morgen vielleicht.
    Als er endlich in sein Bett fällt, die kurze Hochsommernacht löst sich schon in grauem Nebel auf, sinkt er sofort in einen Traum: Anna und das Skelett tanzen im Saal des Winterhuder Fährhauses einen irren Tanz zu schriller Musik, die sein Sohn Karl auf der Geige spielt. Der Auktionator Nattenheimer schwingt seinen Hammer wie einen Dirigentenstock und reißt Witze. Doktor Czrisini, zwei glimmende Woodbines in den Mundwinkeln, stapelt die Stühle des Publikums in riesenhafte Holzkisten. Und ich?, fragt sich Stave in seinem Traum. Ich kann doch alle erkennen, wo bin dann ich? Er kann nicht einmal seine Hände oder Füße ausmachen, er öffnet den Mund, aber kein Ton kommt über seine Lippen. Als wäre er ein Geist, der durch den Saal schwebt, unsichtbar für alle Menschen.

Künstlerleben
    Dienstag, 15.   Juni 1948
    Ein Mensch ist in seinem Traum nicht aufgetreten – und zu dem geht Stave so früh am Morgen, wie es die Höflichkeit gerade noch erlaubt: Staatsanwalt Ehrlich.
    »Wir müssen über einen Toten reden.«
    »Das ist nicht mehr Ihre Fakultät, Herr Oberinspektor.«
    »Es ist Dönneckes Fakultät.«
    »Sie wollen mir etwas von der Leiche im Reimershof erzählen? Wo liegt das Problem?«
    »Oberinspektor Dönnecke ist das Problem. Er ermittelt nicht ernsthaft.«
    »Einer von unzähligen Toten in einem von unzähligen ausgebombten Häusern. Ich möchte das mangelnde Engagement Ihres Kollegen nicht unterstützen. Aber ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass er sich um andere Fälle kümmert. Er arbeitet auch an zwei weiteren Mordfällen.«
    »Der Tote im Reimershof war ein Jude. Der Reimershof wurde 1943 zerstört. Man muss nicht vierzig Jahre bei den Krimsches sein, um zu bemerken, dass da was nicht zusammenpasst«, erwidert Stave.
    Der Staatsanwalt lehnt sich zurück. »Davon steht nichts in dem Bericht, den mir Dönnecke zugestellt hat. Erzählen Sie.«
    Also berichtet der Oberinspektor vom Besuch bei Doktor Czrisini und von den Resten des gelben Sterns, die der Rechtsmediziner unter dem Körper des Unbekannten geborgen hat. Von den Spuren unter den Ledersohlen. Vom Klumpfuß.
    Als er geendet hat, trommelt Ehrlich mit den Fingern auf die Tischplatte. Stave fällt erst jetzt auf, wie erschöpft er aussieht. »Haben Sie schon einmal das Wort ›Schlussstrich‹ gehört?«, fragt der Staatsanwalt.
    »Sie machen sich über mich lustig.«
    »Es ist sehr in Mode. ›Wir sollten einen Schlussstrich ziehen.‹ Das hören Sie überall. Schwamm drüber, begraben wir die Vergangenheit, fangen wir neu an. Da blickt man gerne nach vorne und ungerne zurück.«
    »Der unbekannte Tote ist meiner Vermutung nach ein Mordopfer. Selbst wenn die Tat ein paar Jahre zurückliegt.«
    »Auch die Tat von Kapitän zur See Rudolf Petersen liegt ein paar Jahre zurück. Seine

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