Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Loch im Fußboden, um Würste und Quark kalt zu halten, zwei einfache Stühle, ein Tisch, der aus einer alten Zimmertür gefertigt worden ist, wohl ein Beutestück aus einer Ruine. Darauf ein Stapel dünnes Papier, Kohlezeichnungen. Zur Rechten trennt eine Wand aus dünnen, gehobelten Brettern eine zweite Kammer ab, statt einer Tür hängt ein Vorhang vor der Öffnung. Als Stave hindurchsieht, erkennt er dort ein schmales Bett und eine Kommode.
»Sie wohnen allein?«
»Ja. Mein Talent mit Frauen ist weniger entwickelt als mein Zeichentalent. Hat aber auch Vorteile, in diesen Zeiten.« Als der Kripo-Beamte ihn daraufhin fragend anschaut, zuckt Weber mit den Achseln. »Ich wohne hier auf zwanzig Quadratmetern. Wer kann das heute schon von sich behaupten? Diese Siedlung ist besser als ihr Ruf. Die Nachbarn sind anständige Leute. Die meisten reden nicht viel, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Der Oberinspektor denkt an die beiden Jungen, sagt jedoch nichts. »Und diese Hütten werden noch Jahre halten«, fährt der Künstler fort. »Das sind die solidesten Monumente des Dritten Reichs.«
»Es waren nicht gerade Experten, die sie errichtet haben.«
»Aber sie haben sorgfältig gearbeitet. Dann hat es nämlich länger gedauert, diese Behausungen fertigzustellen. Und je länger man hier arbeitete, desto später hieß es: zurück ins KZ! Wussten Sie, dass selbst der Juniorchef der Nivea-Firma hier gezimmert hat? War nicht ganz arisch, soweit ich weiß. Man muss diese Hütten bloß gut instand halten. Dachpappe war seinerzeit schon so minderwertig, dass die Dächer so dicht halten wie ein zerschlissenes Handtuch. Da muss man rauf und neue Schichten verlegen. Dann hat man Ruhe. Aber Sie sind nicht bis zu mir hinausgefahren, um sich handwerkliche Ratschläge zu holen.«
»Ich hätte welche nötig«, brummt der Kripo-Mann, schüttelt aber den Kopf. »Es geht um den Bronzekopf.«
Der Künstler blickt ihn überrascht an. »Nicht um diese Geldscheine? Ich hatte den Eindruck, dass das Ihre größere Sorge ist.«
»Möglicherweise. Aber es ist der Kopf, zu dem mir noch eine Frage eingefallen ist: Sie sagten, Sie hätten ihn zuletzt als Requisite eines Films gesehen. Das war in Berlin?«
»Selbstverständlich.«
»Im Kino?«
»Nein, bei der Arbeit: 1938 drehten sie bei der Ufa einen Film zur gleichen Zeit, als ich an einem anderen mitgearbeitet habe. Da habe ich den Kopf kurz gesehen, als Dekoration in den Kulissen. Irgendein Propagandaschinken, sie bauten im Studio das Haus eines jüdischen Bösewichtes nach oder so etwas Ähnliches. Da haben sie ein paar Werke aus dem Depot des Propagandaministeriums nach Babelsberg geschleppt und in die Kulissen gestellt. Ich habe wieder einen Riesenschreck bekommen, weil ich befürchtete, dass irgendjemand im Studio die Bronzearbeit als mein Werk erkennt und mich verpfeift. Aber niemand hat sonderlich auf die Werke geachtet, das waren Requisiten wie andere auch. Nach dem Drehtag sind die Sachen wieder verschwunden, wahrscheinlich zurück ins Depot.«
»Dieses Depot des Propagandaministeriums war in Berlin, nehme ich an?«
»Ja, soweit ich weiß. Doch nachgefragt habe ich natürlich nicht.«
»Aber viele Filmschaffende haben sich nach 1945 von der Reichshauptstadt an die Elbe durchgeschlagen. Wissen Sie, ob jemand, der mit dem damaligen Film zu tun hatte, ebenfalls jetzt in Hamburg ist?«
»Machen Sie Scherze?« Weber starrt ihn an, schüttelt dann den Kopf. »Woher sollen Sie das auch wissen? Sie sind ja kein Ehemaliger der Ufa. Der Regisseur des Films lebt heute in Hamburg. Ganz komfortabel, nach allem, was man so hört.«
Stave hält den Atem an. »Wer?«
»Veit Harlan.«
Der Oberinspektor blickt aus dem Fenster, um seine Überraschung zu verbergen. »Der berühmteste Filmschaffende des Dritten Reichs«, murmelt er schließlich.
»Goebbels’ Liebling. Der Schöpfer von ›Jud Süß‹. Der Gatte der Schauspielerin Kristina Söderbaum. Er hat sich 1945 gerade rechtzeitig abgesetzt. Dreht an einem Tag noch einen Durchhaltefilm – und am nächsten ist er aus Berlin verschwunden und taucht in Hamburg wieder auf. Letztes Jahr wurde er dann tatsächlich von der Spruchkammer gecleart: Gruppe V, bloß ein ›Mitläufer‹.«
»Ich erinnere mich an den Skandal. Es gab Artikel in der Presse. Und irgendwelche Künstler sind aus Protest gegen diese Einstufung zurückgetreten.«
»Was dem guten Veit Harlan wahrscheinlich nicht allzu weh getan hat. Er lebt an der Alster. In einer
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