Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Haus?«
»Volksdorf gehörte zu meinem früheren Revier. Die Ohlendorffs waren dort lange die bedeutendste Familie. Kleine Fürsten. Die haben ihr Geld als Händler gemacht: Guanodünger aus Peru. Vogelscheiße. Womit die Leute alles Geld verdienen, da wundert man sich schon. Und womit sie es auch wieder verlieren. Es ging mit ihnen aber schon vor 33 bergab, geschäftlich und auch sonst. Der Junior kümmerte sich mehr um die Musik. Außerdem war er Freimaurer. Die Gestapo hatte sicher eine Akte über ihn. Dass die Tommys die Ohlendorff’sche Villa requiriert haben, war sozusagen nur noch der Gnadenstoß für die Familie.«
»Wie lange brauche ich bis in den Norden?«
»Volksdorf ist fast unbeschädigt, die Straßen sind frei. Keine halbe Stunde – vorausgesetzt, der alte Mercedes macht es bis dahin.«
»Der wird mich noch tausend Kilometer weit tragen«, murmelt Stave, nickt dem Schupo einen Dank zu und greift ein letztes Mal zum Hörer. Er klingelt im Offiziersclub an, lässt MacDonald ausrufen.
»Alter Junge, ich lade Sie zum Lunch ein«, ruft der Lieutenant.
»Klingt wie ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann«, erwidert der Oberinspektor.
Die Villa ist ein zweigeschossiger, lachsfarbener Klotz auf einer Anhöhe in einem Park mit exotischen Bäumen, deren Namen Stave nicht kennt. Über dem Eingang spannt sich ein heller Bogen, wie beim Portal einer romanischen Kirche. An der Seite wölbt sich ein halbrunder Anbau heraus, fast wirkt er wie eine Kapelle. Die Außenwände sind unverziert, zur Parkseite hin ist an das Haus ein verglaster Salon angesetzt, der wie das Gesellschaftszimmer eines Restaurants aussieht. Das monumentale Haus ist die Ausgeburt eines Geistes, der sich nach südlicher Leichtigkeit sehnt, aber von hanseatischer Nüchternheit gehemmt wird. Geld aus Vogeldreck. Geschmack wie Vogeldreck. Als der Oberinspektor den Park durchquert, passiert er einige Grabsteine. Die Familie aus der Villa, glaubt er einen Augenblick lang, dann erkennt er Namen, Daten, steinerne Nachrufe. Der Hundefriedhof der Ohlendorffs.
Englische Militärpolizisten, livrierte deutsche Diener, süßlicher Zigarettenqualm, klingelndes Eis in schweren Gläsern – im Offiziersclub fühlt sich Stave, als sei er in die Kulisse eines jener Abenteuerfilme in exotischen Ländern geraten, die vor 1939 populär gewesen waren. MacDonald faltet den »Manchester Guardian Weekly« zusammen, in dem er gelesen hat, und winkt einem Sergeant zu, der den Deutschen nicht passieren lassen will. Dann führt der Lieutenant Stave zu zwei breiten Ledersesseln in dem Zimmer mit Blick auf den Park. Der Oberinspektor lehnt sich zurück. Wie bequem. Der Duft nach altem Leder und Druckerschwärze. Ein Diener, ein älterer, hagerer Mann, stellt ihm ungefragt ein Glas Limonade auf ein Tischchen. Er vermeidet es, Stave anzublicken. Wahrscheinlich hält er mich für einen Kollaborateur, durchfährt es den Kripo-Beamten.
»Sie haben den Geldfälscher?«, flüstert der Lieutenant hoffnungsvoll.
»Ich habe viele Fragen.«
»Wie bedauerlich. Aber wenn dieser Fall einfach gewesen wäre, hätte ja auch ein Amateur wie ich ihn allein lösen können.« MacDonald lächelt, doch verbirgt damit nur unvollständig seine Enttäuschung.
Der Oberinspektor, der weiß, dass sein englischer Freund bei einem Geheimdienst arbeitet, blickt nachsichtig aus dem Fenster, als er das Wort »Amateur« hört. »Ich habe ein paar Kollegen vom Chefamt S darauf angesetzt«, erklärt er, »ohne ihnen Einzelheiten zu verraten, selbstverständlich. Die Kollegen kämmen die bekannten Kunden des Chefamtes S nach Druckmaschinen durch. Wenn Toni Weber recht hat, dann müssen die Blüten gedruckt worden sein. Eine Notenpresse versteckt niemand in einer Dachkammer, dafür ist sie zu groß und zu schwer. Sie brauchen einen großen Raum, in einer Wohnung, einer Halle, einer Werkstatt. Wohnraum aber ist knapp. Farben sind knapp. Papier ist knapp. Wenn jemand ein so großes Gerät irgendwo bei sich stehen hat, dann muss das früher oder später auffallen. Wenn also jemand tatsächlich Blüten druckt, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir seine Presse sicherstellen.«
»Möglicherweise haben wir nicht so viel Zeit.«
Stave mustert sein Gegenüber. »Was drängt uns mehr? Der Tag X mit der neuen Währung? Oder Ihre Versetzung?«
»Der Tag X. Wussten Sie, dass die meisten deutschen Firmenchefs ihren Mitarbeitern bereits zum Fünfzehnten den halben Monatslohn ausgezahlt haben? Weil sie
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