Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
zufällig entdeckt hätte? Oder ein Staatsanwalt Ehrlich? Ich habe mich so gefürchtet, dass ich mein Geld zusammengekratzt und den Ring zurückgekauft habe. Spuren verwischt.«
»Warum bist du mit diesem Brief nicht einfach zu den Engländern gegangen? Oder zu mir?«
»Auch du bist Polizist. Ich habe mich in dich verliebt, aber ich kannte dich kaum. Je mehr du von mir wissen wolltest, desto bedrängter fühlte ich mich. Wir waren doch gerade erst ein Paar geworden. Ich habe mich gefürchtet, dir zu gestehen, dass ich noch verheiratet bin. Und dazu mit einem gesuchten Verbrecher! Vielleicht wärst du einfach gegangen? Und dann ist dein Sohn aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt und die Sache zwischen uns ist noch komplizierter geworden. Zu kompliziert. Ich wollte nichts mehr mit Klaus zu tun haben. Ich wollte meine Vergangenheit verschweigen. Ich wollte hier und jetzt leben.«
»Sehr naiv.«
»So naiv wie mein Leben in Berlin. Ich wünschte, ich wüsste, was zu tun ist.«
»Ich habe eine Idee«, murmelt Stave.
Zehn Minuten später gehen sie zwischen den Schuppen entlang. Der Regen hat sich in eine Art feinen Nebel verwandelt, der sie von allen Seiten umhüllt. Aus den Ziegelwänden der Gebäude schwitzt Fischgestank. Stave führt Anna am letzten Schuppen vorbei bis auf den gepflasterten Kai. Die Kopfsteine glänzen, blankpoliert von den Sohlen Tausender Schauerleute, die nachts Fischkästen von den Schiffen in die Hallen schleppen. Nun aber ist niemand zu sehen.
»Darf ich?«, fragt er und reicht ihr behutsam die Hand hin.
Sie zögert lange, dann lässt sie den Ring in die offene Handfläche fallen.
Stave schließt die Hand zur Faust – und bevor er noch einmal nachdenken kann, bevor noch einmal Zweifel kommen, holt er aus und schleudert den Ring fort. Ein goldener Reflex über dem grauen Elbwasser, ein schmaler Kreis auf den Wogen, kein Laut. Anna atmet tief durch. Halb hätte er erwartet, dass sie vielleicht weinen würde oder sich auf ihn stützen müsste, doch sie steht nur starr da, hoch aufgerichtet, stumm.
»Gehen wir«, sagt sie endlich, und durch Stave flutet eine so grenzenlose Erleichterung, dass er nun beinahe eine stützende Hand nötig gehabt hätte.
Schweigend wandern sie den Elbhang hoch bis zur düsteren Röperstraße. Anna geht zu seiner Rechten, also schiebt Stave sein Fahrrad mit der linken Hand. Er ist ungeschickt, befürchtet, sein neues Gefährt in einem Schlagloch zu beschädigen, doch er will nichts als Luft zwischen sich und die Frau an seiner Seite lassen. Die Kellerwohnung, die schäbige Wohnungstür. Anna kämpft mit dem verrosteten Schloss, drückt schließlich den Eingang auf.
Stave, den die plötzliche Panik erfüllt, sie könnte ohne ein Wort hinter der Tür verschwinden, fasst ihre Hand. »Sehen wir uns wieder?«
Da lächelt Anna und haucht ihm einen Kuss auf die Wange. »Gib mir ein paar Tage, um mich an meine neue Geschichte zu gewöhnen.«
Der geschenkte Nachmittag
Erst zum Abend haben sich MacDonald und er bei Veit Harlan angekündigt. Der Oberinspektor verharrt lange in der Röperstraße, so lange, bis er hinter den Vorhängen der Wohnung im zweiten Obergeschoss eine Bewegung wahrnimmt. Jemand beobachtet ihn. Da fährt er davon, verwirrt, glücklich und ohne Ziel. Zurück in die Kripo-Zentrale? Über die leeren Gänge gehen, auf Akten starren, die ihm Antworten verweigern? Die Stunden in seiner stillen Wohnung verstreichen lassen?
Ohne dass es ihm selbst bewusst ist, biegt er rechts auf die Palmaille, radelt nur Minuten später – wie schnell er plötzlich ist – über die Reeperbahn, die mittags im Regen grau und trist und verlassen ist. Über das Heiliggeistfeld nach Norden, vorbei an den wuchtigen Hochbunkern, schwarz eher als im üblichen Grau, weil die Feuchtigkeit der letzten Tage tief im Beton steckt. Planten un Blomen, die Wege im Park schlammige Pfade, so tief eingefurcht, dass sein Lenker schlackert. Der Bahnhof Dammtor und dahinter: die Universität.
Stave will einen Kunsthistoriker auftreiben, der ihm vielleicht etwas über Toni Weber erzählen kann. Er gesteht sich selbst nicht ein, dass ihn noch ein zweites Motiv an diesen Ort treibt, eine so verletzliche Hoffnung, dass er sie nicht einmal klar zu denken wagt, aus Angst, sie könnte zerfallen.
Auf der Wiese vor der Universität muss er absteigen: Zwei ältere Männer treiben ein Paar Ochsen an, das einen schweren Eisenpflug durch den Boden zieht. »Kartoffeln für die Herren Studiosi«,
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