Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
verrückt machen.
Stave hat aus seinem Keller ein Stück dicken Draht und ein verrostetes Vorhängeschloss mitgenommen. Damit kettet er sein Rad an einen Laternenmast.
»Das kann sogar meine Großmutter knacken«, bemerkt Ruge.
»Dann hoffe ich, dass Ihre Großmutter nicht gerade jetzt auf dem Schwarzmarkt Geschäfte macht. Morgen kaufe ich mir ein neues Schloss.«
»Oder ein neues Fahrrad.«
»Auf jeden Fall muss ich mir hier nichts mehr besorgen.« Der Oberinspektor nickt in Richtung des Goldbekplatzes.
»Die Schieber flattern herum, als sei eine Handgranate hochgegangen«, spottet der junge Schupo.
Stave fragt sich flüchtig, ob Ruge auch noch an der Front war, sagt dazu aber nichts. »Sind Sie schon lange hier?«, raunt er.
»Ich sehe mir das jetzt seit einer Viertelstunde an. Wirkt eigentlich wie immer: Schieber, Spritzer, Kerle mit Aktentaschen, Jungs, die Schmiere stehen, Mütter mit Einkaufsnetzen. Zigaretten, Kaffee, ein wenig Butter. Die Läden sind ja heute noch geschlossen. Aber man spürt, wie nervös alle sind. Morgen werden die Geschäfte öffnen und das hier wird kollabieren, jeder weiß das. Da wollen die Schieber noch mal ein letztes großes Geschäft machen, aber niemand weiß, ob es besser ist, seine letzten Sachen zu verschanzen oder, ganz im Gegenteil, jetzt alles zu kaufen, was überhaupt nur angeboten wird.«
Stave und Ruge schlendern unauffällig über den Platz. Geflüsterte Preise. Jacken, die sich blitzschnell öffnen. Aber: rasche Blicke hierhin, dorthin, Fingerkuppen, die sie aneinanderreiben, etwas zu lautes Lachen. Morgen seid ihr erledigt, denkt der Kripo-Mann. Bin gespannt, in welchem Metier ihr euch übermorgen herumtreibt. Jede Wette, dass ihr auch in Zukunft Kunden der Krimsches bleiben werdet.
»Nach wem suchen wir?«, haucht Ruge ungeduldig.
»Nach einem Bekannten von mir«, antwortet Stave. »Nur Geduld, der Mann ist ungefährlich. Eigentlich tut er mir sogar leid.«
Kurz darauf stößt er den jungen Schupo leicht in die Rippen und deutet mit dem Kopf nach vorne. »Da ist unser Kerl.«
»Der sieht wirklich harmlos aus«, erwidert Ruge, eine Spur enttäuscht.
Kurt Flasch. Klein, dünn, halbblind von den Regentropfen auf seiner gelöteten Nickelbrille, so geht er im Zickzack über den Platz. Fahrige Bewegungen, unglücklicher Gesichtsausdruck.
»Sind Sie sicher, dass das der Geldfälscher ist?«, zischt Ruge.
»Der hat in seinem Leben noch keine Blüte fabriziert«, antwortet der Oberinspektor und tritt von hinten auf seinen Nachbarn zu. »Herr Flasch, Sie sind verhaftet«, sagt er leise. »Wenn Sie keine Dummheiten machen, erspare ich Ihnen die Peinlichkeit, Ihnen mitten auf dem Platz Handschellen anzulegen.«
Flasch fährt erschrocken herum, starrt Stave an, wirft einen flatternden Blick auf Ruge, wendet sich dann wieder dem Kripo-Mann zu. Seine fahle Haut wird noch um eine Nuance weißer. »Ich habe nichts verbrochen«, stammelt er.
»Das sehen die Alliierten anders«, erwidert der Oberinspektor und legt Flasch die Rechte auf die Schulter. Er spürt das Schlüsselbein des Mannes selbst durch seinen dünnen Regenmantel. Bei der Mordkommission hat er nie Mitleid mit den Leuten gehabt, die er verhaften musste. Schließlich waren das Täter, die einem anderen Menschen das Leben genommen hatten. Nun aber denkt er an Flaschs korpulente Frau im Erdgeschoss und die ständig unruhigen Kinder und fühlt sich irgendwie schäbig. »Vielleicht kommen Sie mit einer Geldstrafe davon«, sagt er, ohne Überzeugung.
»Was werfen Sie mir denn eigentlich vor?« Die Augen hinter der großen Brille verraten dem Oberinspektor allerdings, dass Flasch längst alles ahnt.
»Sie haben die neuen Pfennigscheine auf dem Goldbekplatz verkauft«, erwidert der Kripo-Mann. Inzwischen hat er ihn unmerklich bis zur Mauer der verlassenen Chemiefabrik geleitet. Er drückt den kleinen Mann bis in das aufgebrochene Portal des Gebäudes. Man könnte sie für drei Männer halten, die eines der üblichen Schwarzmarktgeschäfte abwickeln.
»Herr Ruge wird Sie jetzt durchsuchen. Es wird schnell gehen und niemandem auffallen«, versichert Stave.
Ruge macht sich an die Arbeit und filzt den Verhafteten. Geschickte Hände, denkt Stave, das ist nicht mehr der grüne Junge mit acht Wochen Ausbildung, den ich letztes Jahr kennengelernt habe. Der wird vielleicht wirklich bald ein Krimsche werden. Ruge bringt ein Taschentuch, ein paar Zigaretten und etliche Reichsmarknoten zum Vorschein – und ein Dutzend
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