Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
geöffnet.«
»Was nicht heißt, dass die Herren Krämer auf der faulen Haut liegen. Sieh es dir einfach an.«
»Kommst du mit?«
»Ich muss mich um meinen Garten kümmern. Wir sehen uns in den nächsten Tagen bestimmt.«
Eine winzige schwarze Blume der Enttäuschung. Stave will sich davon jedoch nicht niederdrücken lassen. »In den nächsten Tagen also«, erwidert er und zwingt sich zu einem Lächeln.
»Vielleicht finde ich ja noch einen Kiosk, der auch sonntags geöffnet ist. Mal sehen, ob die dort einen dieser Rotationsromane haben.« Er rafft die Scheine zusammen und wedelt mit dem Bündel. »Heil, Deutsche Mark!«, ruft er. Doch er klingt dabei nicht bitter – er lacht. Karl lacht, lacht wie ein junger Mann, fröhlich, spöttisch, unbeschwert. Wann habe ich das bei ihm das letzte Mal erlebt?, fragt sich Stave. Und dann lacht er mit, bis die Wunde in seiner Brust schmerzt, und selbst das fühlt sich für ihn noch köstlich an.
Der Oberinspektor macht sich früher auf den Weg, als er eigentlich müsste, denn er hält sich an Karls Ratschlag. Schon lange vor der Mönkebergstraße allerdings weiß er, worauf sein Sohn angespielt hat: Die Läden sind voll. »Neue Währung – neue Preise!« auf zwei riesigen Plakaten über den Auslagen eines Damenmodegeschäfts. Gestandene Männer und Frauen, die sich wie neugierige Kinder an Schaufenstern die Nasen plattdrücken. Die mit offenem Mund staunen. Stave steigt von seinem Rad und schiebt. Menschen überall, trotz des schlechten Wetters. Schließlich stoppt er und blickt die Mönkebergstraße hinunter.
»Das glaube ich einfach nicht«, murmelt er. Dann ertappt er sich dabei, dass er soeben zu sich selbst gesprochen hat. Lass dich davon nicht umhauen, ermahnt er sich – und hat doch das Gefühl, als zöge ihm jemand den Boden unter den Füßen weg.
Zigarren in Schaufensterauslagen. Flaschen mit Rheinwein. Räucherwürste, auf Porzellantellern zu kunstvollen Stapeln geschichtet. Röcke. Herrenhüte. Töpfe. Bei einem Autohändler steht sogar ein blitzender, schwarzer Opel Olympia im Schauraum. »6785,00 DM« auf einem Pappschild hinter der Frontscheibe. Der Kripo-Beamte braucht einen Augenblick, um zu begreifen, was die Buchstaben bedeuten sollen.
Und Schuhe, Schuhe, Schuhe. Herrenschuhe aus Leder. Helle Damenschuhe mit Absatz. Kindersandalen. Arbeitsstiefel.
»Wo kommt das alles her?«, flüstert eine ältere Frau, die neben Stave an ein Schaufenster getreten ist.
Ein junges Mädchen deutet auf ein Schild in einer Ecke der Schaufensterauslage: »Keine gehorteten Waren!« steht darauf. »Alles gelogen«, zischt sie.
Stave wendet sich ab, zu fassungslos, um wütend zu sein. Das erniedrigende Gefühl, betrogen worden zu sein. Die Erkenntnis, dass diese Mangelwaren, diese Schätze, diese Lebensnotwendigkeiten, für die man in den letzten Jahren wie ein verschämter Freier über windige Schwarzmärkte schleichen musste, um grinsenden, jugendlichen Schiebern seinen ererbten Schmuck anzubieten – dass diese Waren schon lange da waren. Nur dass sie versteckt waren, unsichtbar, gehortet in Lagern, Hinterzimmern, Kellern. Gehortet von Händlern, bei denen man täglich seine Lebensmittelmarken einlöste, die man seit Jahren kannte, Nachbarn. Die aber trotz des Elends ihre Sachen zurückhielten, bis heute, bis zum Tag X. Neue Währung.
Noch sind die Geschäfte geschlossen. Stave blickt sich um. Ob die enttäuschten Passanten die Schaufenster einschlagen und die Läden stürmen werden? Sieht nicht so aus, denkt er. Alle wirken eingeschüchtert von dem Reichtum, der ihnen entgegenfunkelt, der nur noch durch eine Glasscheibe von ihnen getrennt ist.
Das ist das Ende des Schwarzmarktes, durchfährt es den Kripo-Mann. Ich muss mich beeilen.
Er ist pünktlich an der Straße vor dem Goldbekplatz. Ruge wartet schon auf ihn. Der Oberinspektor erkennt ihn erst, als der junge Mann praktisch auf seine Zehen tritt. Ohne Uniform sieht er aus wie ein Primaner.
»Ich habe selbstverständlich keine Waffe dabei«, flüstert Ruge.
»Ich habe Sie auch nur einbestellt, damit Sie mein Fahrrad bewachen, während ich zuschlage«, zischt Stave. Ruges Gesichtszüge entgleisen. Der Kripo-Beamte lacht und klopft ihm auf die Schulter. »War nur ein Scherz«, versichert er. »Sie müssen sich nicht um diese alte Gazelle hier kümmern. Und eine Waffe werden wir auch nicht brauchen.« Für einen Moment denkt er an seine Schusswunde, doch rasch wischt er die Angst beiseite. Lass dich nicht
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