Der Falke des Lichts
mir einen geschäftstüchtigen Blick zu. Ich fühlte mich wirklich dumm, denn daran hätte ich überhaupt nicht gedacht. »Es ist ja schließlich nur ein Sack Mehl«, fügte Sion hinzu. »Und« - er senkte die Stimme - »die Säcke haben auch nicht ganz die richtige Größe. Sie sind kleiner. Der Trottel hat das noch nicht einmal bemerkt, also hat er uns großzügig bewirtet, ohne es zu wissen. Das ist auch gut und richtig so, denn Mönche sollten, was die Güter der Welt anbetrifft, ja arm sein. Und mit Gottes Hilfe werde ich tun, was ich kann, damit sie das auch sind.«
Wir stellten Sions Stute in den Ställen der Abtei ein, und dann sorgten wir dafür, daß der Karren sicher in der Scheune untergebracht wurde. Anschließend gaben wir dem Bruder Pförtner seinen Sack Mehl. Dann gingen wir in die Kapelle, denn es sah so aus, als ob das Kloster völlig überfüllt wäre, und die Mönche hatten ihre Gäste schon im Vorraum der Kapelle zum Schlafen untergebracht. Sion warf seine Rolle im Vorraum nieder, pfiff durch die Zähne und stampfte in die Kapelle selbst hinein. Nach einem Augenblick des Zögerns folgte ich ihm. Ich hatte noch nie zuvor eine Kirche gesehen, und ich fand sie verwirrend. Direkt hinter der Tür blieb ich stehen und starrte die säulengeschmückte Basilika an und die Schnitzereien an den Wänden. Sion allerdings ging direkt zum anderen Ende und kniete vor dem Altar nieder. Er machte das gleiche Handzeichen, das ich ihn schon zweimal hatte machen sehen, und jetzt erkannte ich es als das Zeichen des Kreuzes. Ich ging auch still zum Altar, stellte mich hin und schaute ihn an.
Es war ein ganz einfacher Altar, und ein Kreuz aus geschnitztem Holz stand dahinter vor der weißgekälkten inneren Wand. Das Tuch über dem Altar allerdings war reich bestickt. Es war bedeckt mit verschlungenen, ineinander verknoteten Mustern, die gefroren wirkten und gleichzeitig bewegt, wie die Muster, die ich mein ganzes Leben lang auf Schüsseln und Spiegeln und Schmuck gesehen hatte. Auch auf diesem Tuch waren Tiermuster, seltsame, geflügelte Wesen, die durch die verschlungenen Knoten schritten, die im Licht der beiden Kerzen auf dem Tisch zu tanzen schienen. Etwas an diesem Ort erinnerte mich an das Zimmer, in dem ich Caledvwlch zum erstenmal gezogen hatte. Hier herrschte das gleiche Gefühl eingedämmter Macht vor, starr und lebendig zugleich wie die Muster auf dem Altartuch. Ich hatte ein Gefühl der Unmittelbarkeit und Nähe, als ob ich in der Nähe eines gewaltigen Herzens wäre, und es herrschte gespannte Stille.
Ich holte tief Atem und schauderte vor Aufregung wie ein nervöses Pferd. Ich zwang mich, die Ruhe zu bewahren. Impulsiv kniete ich hinter Sion nieder, der irgendein lateinisches Gebet murmelte. Ich zog Caledvwlch und hielt es vor mich hin, berührte mit der Schwertspitze den Boden. Das Kreuz des Hefts wiederholte das Kreuz an der Wand. Licht rührte sich in dem Rubin, wurde heller, wurde zur beständigen Flamme, und durch meinen Willen befahl ich ihm, wieder dämmriger zu werden. Ich wußte, ich würde nicht in der Lage sein, Sion oder den Mönchen das Schwert zu erklären. Das Licht verschwand, und ich versuchte, Sions Beispiel zu folgen und zu beten. Bruchstücke verschiedener Lieder schwebten durch meine Gedanken und die alten druidischen Anrufungen der Sonne und des Windes, der Erde und der See. Ich verdrängte diese, denn ich wollte schließlich zu meinem Herrn, dem Licht, sprechen und nicht zu irgendeinem geheimnisvollen unbekannten Gott, der mir neu war. Und dann sprach ich zu ihm, ganz still.
»Ard righ mor, mein König. ich will dir meinen Eid halten. Ich habe getötet, seit ich dir Gefolgschaft schwor. Laß das. Oh, ich bin ganz verloren und kann es nicht verstehen. Laß es vergeben sein. Mein Herr.« Ich hatte plötzlich den Wunsch zu singen, aber ich wußte nicht was. »Mein Herr, ich bin dein Krieger. Befiehl mir. Hilf mir. Laß mich Artus finden, und laß ihn mich in Dienst nehmen. Laß mich.« Was? Ich dachte an Morgas, an Lugh, an Ceincaled. »Laß mich deinen Willen wissen, denn dir steht es an zu herrschen. Gott dieses Ortes, wenn du mein Herr, das Licht, bist, dann höre mich.«
Es entstand ein Augenblick des Schweigens. Ein stilles, tiefes Horchen, das sich sehr von der hohen Freude unterschied, die ich vorher kennengelernt hatte. Es war, als ob das aufgewühlte Wasser eines tiefen Sees endlich still geworden wäre, und man konnte jetzt hinab in die unendlichen Tiefen schauen, wie in
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