Der Falke des Lichts
war anders.
Ich lächelte und trat vor. »Komm«, sagte ich, und meine Stimme klang seltsam in der Dunkelheit und dem unirdischen Schweigen, das so nah war. »Komm, mein Feind. Du bist gebunden, und du kannst nicht an deinen Ort zurückkehren, ehe du nicht das vollbracht hast, zu dem du gesandt wurdest.«
Das Wesen machte ein hohes, dünnes, wimmerndes Geräusch und sprang.
Ich war bereit. Ich ließ Caledvwlch niedersausen, und das Wesen stieß einen tonlosen Schrei aus, schrie noch einmal, wand sich auf dem Boden, aber jetzt vor Zorn. Ehe ich das Schwert wieder heben konnte, war das Wesen über den Fußboden geglitten und hatte mich berührt. Ich stürzte rückwärts. Eine tödliche Kälte und ein intensiver Schmerz krallten sich in meinem Schädel fest, und eine Flut aus Haß, eine schwarze Flut wie der Haß, den ich einmal meinem Bruder Agravain gegenüber verspürt hatte, oder wie der Haß, den Morgas für die ganze Welt verspürte. Ich ertrank darin; ich konnte nicht sagen, welche meine eigenen Gefühle waren, und welche die Wünsche meines Angreifers. Ich wußte nicht, wer ich war oder wo ich war. Alle Zeit, alle Klarheit wurden vom Abgrund der Finsternis verschlungen. In der Verwirrung schien ich mich an irgend etwas zu erinnern: an meine Mutter, gekleidet in Schrecken, die mir befahl. Und dann an Aldwulf, dessen Gesicht von einer blutbefleckten Bandage bedeckt war und der vor den Runen kniete und kreischte: »Komm! Ich brauche irgendeine Macht, die Gawain zerstört, den Diener des Lichts! Komm, nimm deinen Preis!« Und ich hörte denjenigen, der, gefangen im vielgehaßten Licht der Welt, umhergeirrt war und jetzt kam und jetzt sagte: »Wo ist Gawain, der Sohn des Lot, der Sohn der Königin der Finsternis? Ich suche ihn.« Nein. Es war nicht meine Erinnerung, es war die Erinnerung des Dämons. Dies war die Macht, die Morgas in der Nacht des Samhain heraufbeschworen hatte, nachdem ich geflohen war. Die Macht, die mich bis zum Llyn Gwalch verfolgt hatte, um mich zu vernichten. Seit fast drei Jahren war dieses Wesen durch die Welt gewandert und hatte mich gesucht, es war unfähig gewesen, sich wieder zurückzuziehen, bevor es Morgas’ Befehl ausgeführt hatte. Und dann hatte Aldwulf gerufen, und es hatte mich wiedergefunden. Der Gedanke, das Erkennen, brachte mich wieder zu mir selbst. Ich war ein Mann, getrennt von der finsteren Macht, und ich hob das Schwert und preßte das Heft gegen meine Stirn.
Der Dämon ließ mich los, kreischte auf und stürzte über den Fußboden. Ich ging auf die Knie und schlug wieder auf ihn los, und das Wesen zuckte wahnsinnig, sprach jetzt mit mir, bettelte im Innern meines Gehirns ohne Worte. Es sagte, es würde mir in allem gehorchen, wenn ich es verschonte. Ich lachte und ließ das Schwert niedersausen.
Der Todesschrei des Dämons erschütterte die Luft. Es war, als ob er den Stoff durchdrang, aus dem die Welt gemacht ist. Dann verklang er langsam, verschwand mit der Kälte und dem Schweigen ins Nichts.
Ich hob das Schwert wieder, ich keuchte, ich suchte nach etwas anderem, gegen das ich kämpfen konnte.
Stille. Das leise Atmen schlafender Männer, jetzt ohne den betäubten, gequälten Klang. Ein Nachtvogel rief draußen, und der Wind rauschte in den Deckenbalken. Ich senkte das Schwert. Das Feuer verlosch, sowohl in der Klinge als auch in meinem Gehirn, und nur noch Frieden blieb.
Mein König, dachte ich. Du bist der größte aller Herren, der glänzendste aller Feldherren. Meinen Dank für das Schwert und für den Sieg. Dann ging ich zurück zu meinem Strohsack, schob Caledvwlch in die Scheide und legte mich. Ich war zu müde, um stehenzubleiben.
Während ich mich niederließ, rührte sich Sion, wachte auf, hob den Kopf. Er schaute nach irgend etwas im Vorraum der Kapelle, zögerte, drehte sich dann unsicher nach mir um.
»Gawain?« flüsterte er.
Ich war schon im Halbschlaf, und ich wollte nicht reden. Deshalb tat ich so, als ob ich fest schliefe. Nach einer Minute zuckte Sion die Achseln und legte sich wieder hin. Ich schloß die Augen. Der Schlaf war wie ein Boot, das träge auf einem riesigen, friedlichen Ozean treibt.
9
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war das Gefühl des Friedens noch da. Sion allerdings schien besorgt. Er pickte an dem Brot herum, das die Mönche zur Verfügung gestellt hatten und brütete. Die anderen Bauern diskutierten über Land und Ernte und das Wetter und schmiedeten Pläne, aber Sion schloß sich der Unterhaltung nicht an. Als
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