Der Falke des Lichts
das?«
»Die Orkneys, die Innsi Erc, die Inseln im Norden des Piktenlandes«, sagte ich überrascht.
»Ach, die Ynysoedd Erch! Wo Lot König ist, mit der Hexenkönigin. Ein schrecklicher Ort, heißt es, und furchtbar weit weg.«
»Sehr weit weg«, antwortete ich, »aber überhaupt nicht schrecklich.«
»Nun. hast du denn jemals den König Lot ap Cormac gesehen? Oder die Königin Morgas, die Tochter des Uther? Von der erzählen sie sich Geschichten, die einem das Blut gefrieren lassen. Ich würde keinem von den beiden gern begegnen, überhaupt nicht, zu keiner Zeit. Mein Sohn natürlich.«
Ich lächelte. Er hatte mir schon alles über seinen zwölfjährigen Sohn erzählt, der ein fanatischer Bewunderer von Artus war und der ein Held werden wollte. Er hatte es mir erzählt, mitten in Geschichten von den Schwierigkeiten des Bauernlebens und von einer Blutfehde, in die sein Clan vor zwanzig Jahren verwickelt gewesen war. Sion war wie gesagt ein redseliger Mann.
»Nicht, daß ich die Geschichten etwa glaubte«, fügte Sion hinzu. »Die Männer erzählen sich Geschichten über alles mögliche, und je wunderbarer sie sind, desto interessanter finden sie sie. Auf jedem Marktplatz erzählen sie jetzt Geschichten über den Pendragon, über die man vor zehn Jahren gelacht hätte. Aber weil er jetzt Kaiser ist und die Kirche besteuert, da reißen sich die Narren alle im Bart und glauben die Wundergeschichten. Ich dagegen, ich bin ein Christ, ein Sohn der Kirche, und ich halte nicht viel von solchen Märchen.« Er brach ab, warf mir einen Seitenblick zu, verstummte einen Augenblick und fuhr dann fort: »Aber ich hab’ mich schon gefragt, wie der König und die Königin von den Ynysoedd Erch wohl aussehen.«
»Ich habe sie gesehen«, gab ich zögernd zu.
»Wirklich? Dann erzähl mir von der Hexenkönigin, der Schwester des Pendragon. Sie ist hier in Dumnonia geboren, aber ich hab’ sie noch nie gesehen. Ist sie schön?«
Ich dachte an Morgas. Morgas mit ihrem schwarzen Haar und den Augen, die wie nachtschwarze Seen sind. Morgas, die Königin der Finsternis, die nicht länger menschlich war. Ich schaute auf meine Hände hinab, ich vergaß die Straße und den Mann neben mir, ich vergaß Camlann und ganz Britannien im Schrecken meiner Erinnerungen. Der Rand des Karrens knirschte unter meinen Fingern, als ich ihn packte. Licht, kann ich nie frei sein von ihr?
Sion murmelte irgend etwas und machte das gleiche Handzeichen, das er bei meinem ersten Anblick gemacht hatte.
»Was?« fragte ich und wachte aus meinen Gedanken auf.
»Nichts«, sagte Sion, aber er zügelte sein Pferd und schaute mich an. »Was machst du.« Er hielt wieder inne. »Irgendwie bist du seltsam, Gawain.«
»Was meinst du damit?« fragte ich und schaute ihm gerade in die Aug en .
Sion schüttelte abrupt den Kopf und klatschte mit den Zügeln, so daß die Stute wieder vorwärtstrabte. »Es ist nur das Licht«, murmelte er. »In dieser Spätnachmittagssonne sieht alles so aus. na, tut mir leid.«
Ich lächelte, und meine Finger legten sich auf Caledvwlchs Heft. Es war wenigstens schon etwas, daß es ihm leid tat, weil er mich für nicht menschlich hielt. »Sieh mal da«, sagte Sion und war wieder fröhlich. »Da ist Ynys Witren.«
Wir fuhren jetzt wieder direkt nach Westen, denn die Straße zweigte von der Hauptstraße im Osten der Stadt ab, und die langen Strahlen der Nachmittagssonne ließen die Gebäude aus Lehm und Holz zerbrechlich aussehen, als ob sie über dem Marschland schwebten. Der steile Hügel hätte friedlich aussehen sollen: Statt dessen mußte ich bei seinem Anblick den Atem anhalten. Diese Stadt war sicherlich ein Sitz der Macht, und die Macht war von mehr als einer Art.
Sions kleine Stute strebte eifrig dem versprochenen Stall zu. Um des Pferdes willen wollte Sion in Ynys Witren halten, anstatt nach Camlann weiterzufahren. Es war schwer für die Stute, den beladenen Wagen den ganzen Tag zu ziehen, und der Bauer konnte es sich nicht leisten, das Tier zu überanstrengen. Etwas bedrückt fiel mir ein, daß Ceincaled die ganze Entfernung, die wir an diesem Tag zurückgelegt hatten, in ein paar Stunden hätte schaffen können. Aber Ceincaled hatte das Recht auf Unsterblichkeit. Ich hätte ihn nicht behalten können.
Wir überquerten eine Brücke - Sion sagte, der Fluß hieße Briw - und dann fuhren wir in die »Glasinsel« ein, in Ynys Witren. Der große Hügel erhob sich drohend über uns, und die Festung, die darauf stand, hielt Wacht
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