Der Falke des Nordens
doch nachdem Sie mich darauf hingewiesen haben, kann ich Ihnen nur zustimmen.”
“Ich weiß immer noch nicht, wohin wir reiten.”
Khalil lächelte. “Warum entspannen Sie sich nicht, Joanna? Sie haben sich beschwert, eingesperrt zu sein – jetzt haben Sie die Möglichkeit, die frische Luft und die schöne Landschaft zu genießen. Freuen Sie sich einfach über den herrlichen Tag.”
“Ja, er hat recht”, gab sie insgeheim zu. Es war tatsächlich ein wunderschöner Tag. Die Berge, die durch die Bäume aus der Ferne dunkelgrün wirkten, hoben sich gegen einen strahlend tiefblauen Himmel ab. Jetzt im Frühling waren die Abhänge mit blühenden Blumen übersät, die die Luft mit ihrem süßen Duft erfüllten.
Alles erschien Joanna so unwirklich und traumhaft schön. Sie dachte an die von Menschen und Autos überfüllten Straßen in New York und Dallas. Das alles schien so unendlich weit entfernt zu sein. “An einem Fleckchen Erde wie diesem hier könnte ich wirklich glücklich sein”, ging es ihr durch den Kopf. Und unwillkürlich ließ sie den Blick zu dem Mann schweifen, der an ihrer Seite ritt.
“Was sollen diese unsinnigen, albernen Gedanken, während mein Vater sich meinetwegen zu Tode ängstigt!”, rief sie sich zur Ordnung.
“Hören Sie zu”, forderte sie Khalil auf, “wenn Sie sich einbilden, Sie könnten mich mit irgendeiner Vorstellung umstimmen …”
“Dort ist die Bühne mit den Schauspielern, Joanna.” Khalil griff ihr in die Zügel. “In ungefähr einer Stunde können Sie mir verraten, was Sie von der Aufführung halten.”
Noch bevor sie etwas antworten konnte, gab er Najib die Sporen, und beide Pferde galoppierten los.
Fasziniert genoss Joanna den Anblick, der sich ihr bot. Sie näherten sich einer richtigen kleinen Stadt, mit Häusern und engen Straßen. Nicht einmal Khalil hätte so etwas über Nacht in Szene setzen können, dachte sie verwundert, während er die Pferde anhielt.
“Möchten Sie ein bisschen herumlaufen und sich alles anschauen, Joanna?” Khalil war bereits abgestiegen und stand nun neben der Stute. Er blickte zu Joanna auf, und sein Gesicht wirkte maskenhaft.
Joanna nickte. Sie war so verwirrt über das, was sie vor sich sah, dass sie keinerlei Einwände erhob, als er die Arme ausstreckte, um ihr vom Pferd zu helfen. Im Gegenteil, sie nahm dieses Mal seine Hilfe bereitwillig an und legte ihm die Hände auf die Schultern, um das Gleichgewicht zu halten. Dann ließ er sie vorsichtig auf den Boden gleiten.
“Wie heißt dieser Ort?”, erkundigte sie sich interessiert.
“Adaba. Es ist einer unserer wichtigsten Markt- und Warenumschlagplätze.” Er ergriff ihren Arm und führte sie durch eine schmale Gasse, die beiden Männer im Schlepptau. “Ich dachte, Sie würden meine unterdrückten Untertanen gern einmal mit eigenen Augen sehen.”
Ihr lag eine schlagfertige Antwort auf der Zunge, doch ihr Blick wurde wie magisch vom bunten Treiben vor ihr angezogen. Alle möglichen Waren wurden angeboten. Joanna lauschte dem Stimmengewirr und dem fröhlichen Lachen der vielen Menschen, die sehr beschäftigt und offenbar auch glücklich waren.
“Beobachten Sie genau, wie die Leute sich vor mir ducken und bei meinem Anblick zusammenzucken”, forderte Khalil sie leise und spöttisch auf.
Tatsächlich schienen die meisten ihn gar nicht zu bemerken. Und wenn, hielten sie nur kurz inne, um ihm freundlich zuzulächeln und sich an der Stirn zu berühren.
“Haben Sie sie eingeschüchtert und ihnen angedroht, sie köpfen zu lassen, falls sie sich Ihnen in meiner Gegenwart zu Füßen werfen?”, fragte Joanna kühl.
Er packte sie fester am Arm. “Warum so phantasielos, Joanna? Vielleicht habe ich ihnen sogar in Aussicht gestellt, sie bei lebendigem Leib zu häuten?”
“Ja, wahrscheinlich!”
Plötzlich kam eine Frau angerannt. Sie wollte Khalil ehrfürchtig begrüßen, doch er gebot ihr Einhalt, legte ihr den Arm um die Schultern und küsste sie auf die Wange. Scheu blickte sie Joanna an und sagte etwas zu Khalil, der daraufhin laut auflachte. Dann mischte die Frau sich wieder unter die Menge.
Joanna versuchte vergeblich, sich aus seinem Griff zu lösen. “Was war denn so lustig?”, wollte sie wissen.
Khalil lachte amüsiert. “Sie sagte nur, ihr würden meine blauen Augen besser gefallen als Ihre grünen, obwohl sie diese Farbe ausgesprochen interessant und ungewöhnlich findet.”
“Ach, Sie ist wohl eine Ihrer Verehrerinnen, oder?”
“Sie ist Cheva,
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