Der Falke des Nordens
verlieren! Solange ich hier bin, wäre ich dann Ihr Spielzeug und später, sobald ich weg bin, so etwas wie eine Versicherungspolice.”
Er richtete sich zu voller Größe auf und sah sie überrascht an. “Wovon reden Sie eigentlich?”
“Wahrscheinlich haben Sie recht.” Joanna schwang die Beine aus dem Bett und stand ebenfalls auf. “Wenn ich freiwillig mit Ihnen ins Bett gehen würde, könnte ich nachher nicht tatenlos zusehen, falls man versuchen würde, Sie fertigzumachen.”
“Ich verstehe den ganzen Unsinn nicht”, sagte er, drehte sich um und stürmte durchs Zimmer zur Tür, die er aufriss. Dem Mann, der davor Wache stand, rief er einen Befehl zu. Dann forderte er Joanna mit eiskalter Stimme auf: “Kommen Sie!”
“Sie brauchen mich nicht hinauszuwerfen, ich gehe freiwillig.” Betont gleichgültig durchquerte sie den Raum und unterdrückte die Regung loszurennen.
“Das glaube ich Ihnen sogar”, erwiderte er. Er legte ihr die Hand auf den Rücken und schob sie ziemlich unsanft in den Vorraum. “Warten Sie. Der Wächter leistet Ihnen inzwischen Gesellschaft.”
“Wie nett! Worauf soll ich überhaupt warten?”
Er lächelte kühl. “Freuen Sie sich Joanna. Ihre Tage als einsame Gefangene neigen sich dem Ende zu.”
9. KAPITEL
Joanna stand vor Khalils Schlafzimmer. “Will er mich tatsächlich freilassen?”, überlegte sie und weigerte sich, daran zu glauben. Aber was sonst hatte er mit seinen Worten gemeint?
Sie wäre glücklich, von diesem Platz und dem schrecklichen Mann wegzukommen. Nie würde sie ihm verzeihen, dass er sie eingeschlossen hatte und bewachen ließ, auch nicht die anderen Demütigungen, die er ihr zugefügt hatte.
“Sind Sie fertig, Joanna?”
Sie wirbelte herum und sah Khalil an der offenen Tür stehen, die er völlig auszufüllen schien. Er trug nun ein weißes Hemd, dazu eine enge schwarze, perfekt sitzende Hose und Reitstiefel. Außerdem hatte er sich einen weißen Mantel lässig über die Schultern geworfen.
“Oh, ja”, entgegnete sie und lächelte ihn strahlend an. “Ich brauche nur noch meinen Koffer zu packen und …”
“Ich habe für derartige Scherze keine Zeit”, unterbrach er sie unfreundlich.
“Nein, bestimmt nicht. Ich bin nämlich die Einzige hier, die zu viel Zeit hat. Vielleicht sollten wir einmal darüber reden, dass ich nicht daran gewöhnt bin, meine Tage mit Nichtstun zu verbringen. Glauben Sie etwa, ich hätte bisher wie eine verwöhnte Märchenprinzessin gelebt?”
“Das ist absurd. Natürlich weiß ich es besser.” Khalil verschränkte die Arme vor der Brust. “Sie gehen jeden Tag zu Bennettco ins Büro und arbeiten dort stundenlang an der Seite Ihres Vaters.” Nun lächelte er grimmig. “Das wollten Sie mir doch weismachen, nicht wahr?”
Joanna errötete. Es war sinnlos, ihm weiterhin etwas vorzumachen. “Ich würde gern vierundzwanzig Stunden im Büro verbringen, aber leider ist mein Vater ein Chauvinist, genau wie Sie!”
“Die Liste meiner schlechten Eigenschaften wird endlos!” Plötzlich kam einer seiner Männer angerannt, und Khalil drehte sich um. “Ah”, sagte er und nahm dem Mann den mit Silberlurex durchwirkten weißen Mantel aus der Hand. “Danke, Ahmed.” Dann reichte er Joanna das Kleidungsstück. “Ziehen Sie ihn über.”
Sie warf einen verächtlichen Blick darauf. “Ich bin nicht eine von Ihren Frauen. Ich lasse mich nicht wie ein Weihnachtsgeschenk einpacken!”
“Es würde mir im Traum nicht einfallen, so etwas aus Ihnen zu machen, so kratzbürstig, wie Sie sind!”
“Gut. Dann vergessen Sie das Ding hier. Ich werde es nämlich nicht tragen.”
Kurz entschlossen ging er auf sie zu, legte ihr den Mantel um und zog ihr die Kapuze über das glänzende kastanienbraune Haar. “Es ist nur zu Ihrem Besten, denn in dieser Jahreszeit wird es hier oben in den Bergen ziemlich kühl”, erklärte er, legte ihr eine Hand auf den Rücken und schob Joanna sanft vor sich her über den Flur. “Warum ist Ihnen eigentlich alles, was ich sage und tue, suspekt?”
“Verdammt!” Mit einer ungeduldigen Bewegung befreite sie sich aus seinem Griff und wirbelte zu ihm herum. “Jeder, der Ihnen zuhört, muss glauben, Sie hätten mich vom ersten Augenblick an anständig und respektvoll behandelt!”
Sein Blick wurde finster. “Ich gehe so mit Ihnen um, wie Sie es verdienen.”
“Würden Sie mich mehr achten, wenn ich mein Leben lang Ziegen gehütet hätte?”
Zu ihrer Überraschung lächelte er. “Sind wir
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