Der Falke des Nordens
Machthaber.”
Joanna schüttelte zweifelnd den Kopf. “Warum hat er Sie nicht auch umbringen lassen?”
“Vielleicht wäre ich dann zum Märtyrer und damit für ihn noch viel gefährlicher geworden.”
“Und warum gehen Sie nicht gegen ihn vor und machen Ihre Ansprüche geltend?”
“In unserem Land herrscht in der Tat ein heimlicher Krieg, von dem Sie nur deshalb nichts bemerkt haben, weil er nicht auf blutigen Schlachtfeldern und mit dem Einsatz von Panzern und Flugzeugen und sonstiger moderner Ausrüstung geführt wird. Immer, wenn sich die Gelegenheit bietet, fügen wir dem Gegner Schaden zu und warten im Übrigen auf den Augenblick, in dem wir ihn vernichten können, ohne Verluste unter unserer Zivilbevölkerung hinnehmen zu müssen.” Er verzog die Lippen. “Ich kann meinen Leuten erst dann Opfer abverlangen, wenn ich ganz sicher bin, dass wir auch gewinnen.”
Joanna begegnete Khalils glühendem Blick. Sie hätte ihm gern geglaubt, dann aber zugeben müssen, dass ihr Vater gelogen hatte. Sie war verunsichert. “Sie sprechen über Moral – trotzdem verweigern Sie mir meine Freiheit.” Sie fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. “Wenn Sie mir wirklich die Wahrheit gesagt haben und ich Ihnen glauben soll, erwarte ich von Ihnen, dass Sie mich zu meinem Vater zurückbringen.”
“Das ist leider völlig ausgeschlossen.”
“Na, bitte. Sie ergehen sich in großartigen Reden über Gerechtigkeit und so, und dann …” Sie riss sich von ihm los. “Es ist einfach unmöglich, Khalil. Sie haben mich entführt und schließen mich hier ein …”
“Dafür hatte ich einen Grund, Joanna. Ich hatte keine andere Wahl.”
“Es gibt immer eine Alternative! Sie können Ihre Entscheidung jederzeit korrigieren.”
“Nein, das kann ich nicht”, erwiderte er.
“Ich verspreche Ihnen, ich werde meinen Vater davon unterrichten, was Sie mir über Abu erzählt haben.”
Khalil schüttelte den Kopf. “Mein Entschluss steht fest, Joanna. Ich werde Sie nicht freilassen.”
Sie errötete vor Zorn. “Sie … Sie sturer, unverschämter Kerl! Warum soll ich Ihnen überhaupt ein einziges Wort glauben?”
“Es reicht, Joanna.”
“Nein! Sie sind ein arroganter, herrschsüchtiger Mensch. Ich kann es kaum erwarten, Sie eingesperrt zu sehen!”
Plötzlich nahm er sie in die Arme. Sie war so überrascht, dass sie aufschrie. “Wenn Sie nicht endlich den Mund halten, muss ich Sie zum Schweigen bringen”, verkündete er und küsste sie.
Joanna wand und drehte sich wie wild in seinen Armen. “Verdammt”, zischte sie an seinem Mund und biss ihn so fest in die Lippe, dass diese zu bluten anfing.
Doch er lachte nur und hielt Joanna noch fester. “Wehren Sie sich ruhig”, sagte er, während er sie eisern umklammert hielt. “Was bedeutet das schon, Joanna. Bald werden Sie meinen Namen rufen, sich an mich schmiegen und mich anflehen, den Kampf zwischen uns auf die einzige Art zu beenden, die wir beide verstehen.”
“Nein, das ist doch alles gar nicht wahr!”, erwiderte sie verzweifelt.
Aber er hatte recht. Sie begehrte ihn so sehr wie er sie. Mit seinen feurigen, leidenschaftlichen Küssen schien Khalil sie aufzufordern, sich ihm zu unterwerfen. Und gleichzeitig lag darin das Versprechen seiner völligen Hingabe. Joanna schluchzte bei dieser Erkenntnis unterdrückt auf. Und mit einem Mal legte sie ihm die Arme um den Nacken, drängte sich an ihn und öffnete die Lippen, um dem Drängen seiner Zunge nachzugeben. Triumphierend hob er sie hoch und trug sie zum Bett.
“Joanna”, flüsterte er zärtlich.
Sie blickte ihn unverwandt an, während er sie vorsichtig auf die Matratze legte. Sein Lächeln sagte ihr, dass er genau das bekommen hatte, was er wollte – und es war sein Gesichtsausdruck, der Joanna unvermittelt in die Wirklichkeit zurückbrachte. Ihre leidenschaftlichen Gefühle waren schlagartig verschwunden, und ihr Verstand setzte wieder ein.
Was war bloß in sie gefahren? Wie hatte sie ihn gewähren lassen und ihm sogar noch entgegenkommen können? Immerhin hatte er sie entführt. Sie war seine Gefangene. Und nun lag sie hier in seinem Bett und ließ es zu, dass er ihre Schwäche ausnutzte.
“Lassen Sie mich los!” Mit den Fäusten trommelte sie so fest gegen seine Schulter, dass er sich augenblicklich zurückzog. “Sie sind ausgesprochen clever! Alle Achtung, Khalil.” Sie hielt seinem Blick stand. “Wenn Sie mich dazu bringen, mit Ihnen zu schlafen, können Sie nämlich gar nicht
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