Der Falke von Aryn
Unüberhörbar natürlich die Andeutung, dass sie darin versagt hatte. Also hatte man Janiks schon als ihren Nachfolger bestimmt.
»Wie lange?«, hatte sie gefragt.
»Ach, vier Wochen sollten reichen«, war von Leinens nachlässige Antwort gewesen. Er hatte auf die Unterlagen auf seinem Tisch herabgesehen, als ob er mit den Gedanken schon ganz woanders wäre. »Bis dahin wird sich der Stich gegeben haben, dann werden wir wohl weitersehen.«
Jetzt sah sie auf ihre Hände herab, die sich in das Holz der Reling krallten, und zwang sich dazu, ruhig zu bleiben. Von Leinen war ihr Vorgesetzter, er war für die südliche Garda verantwortlich, und die Garda in Augusta unterlag ebenfalls seiner Verantwortung. Dennoch hatte sie ihn in den fünf Jahren, in denen sie die Garda in der Hauptstadt kommandiert hatte, selten genug zu Gesicht bekommen. Auch wenn er freundlich getan hatte und die Worte anders klangen, wusste sie, dass dieses Gespräch für sie das Ende ihrer Zeit in der Garda eingeläutet hatte.
Er hätte auch gleich sagen können, dass die Kommission entscheiden würde, ihr Patent nicht zu verlängern. In zwei Monaten waren es zwölf Jahre, die sie der Garda diente. Nach zwölf Jahren musterte ein Offizier nicht ab, der Viertelsold, den man als Ruhegeld erhielt, reichte nicht ansatzweise für ein Leben, erst nach vierundzwanzig Jahren erhielt man den ersehnten halben Sold, von dem es sich dann leben ließ.
Doch um Sold war es weder ihr noch dem Herrn Oberst gegangen. Vielmehr darum, dass sie zwei Tage zuvor einen Mann in schweren Fesseln in eine Zelle hatte verbringen lassen, den sie selbst auf frischer Tat ertappte, als er einem anderen mit seinem Gehstock den Schädel eingeschlagen hatte.
Schon zwei Stunden später hatte ein steifer Advokat ihr die Papiere vorgelegt, die besagten, dass ihr Gefangener tatsächlich der war, der er angegeben hatte zu sein, und dass es für sie Konsequenzen haben würde, einen Grafen des Reichs, ja mehr noch, einen Berater am Hofe Kaiser Heinrichs, derart öffentlich gedemütigt zu haben. Bei der Erinnerung daran schnaubte Lorentha verächtlich, die verantwortungsvolle Aufgabe des Grafen bestand darin, darauf zu achten, dass es immer genügend Fasanen in den Gärten gab!
Von dem erschlagenen Müller, der dazwischenging, als der Graf sich an seinem Weib vergriff, war schon nicht mehr die Rede gewesen.
Die Garda schützte das Recht des Kaiserreichs. Ein gleiches Recht für alle. So hieß es. Doch die Wahrheit sah anders aus.
Schon am nächsten Tag hatte eine Kommission befunden, dass Graf von Bergen berechtigt gewesen war, sich bei einem Angriff auf Leib und Leben zu verteidigen, vor allem, da es ein Bürgerlicher gewesen war, der es gewagt hatte, die Hand gegen einen Adeligen zu erheben, womit der Fall dann abgeschlossen war. Bis darauf, dass der Graf darauf bestand, eine schriftliche Entschuldigung von Lorentha zu verlangen.
Er bekam sie noch am selben Tag. Schon als sie schrieb, wie sehr sie es bedauerte, mit dem Grafen so verfahren zu sein, wie es die Vorschrift der Garda für den Fall verlangte, dass man einen Mörder auf frischer Tat ertappte, wusste sie, dass sie damit auch gleich ihren Dienst hätte quittieren können.
Vielleicht war es ihr Weg gewesen, die Entscheidung zu erzwingen, die schon seit Jahren überfällig gewesen war.
Jetzt, als die Mannschaften die Leinen festzogen und die Planke ausbrachten, konnte sie nur bitter darüber lachen, mit welchem jugendlichen Idealismus sie damals zur Garda gegangen war, ein trotziges Kind, das alle Warnungen in den Wind geschlagen hatte, das sogar mit seinem Vater darüber brach, das zeigen wollte, dass man die Welt verändern konnte, so man es nur wollte.
Für eine gewisse Zeit schien es auch, als wäre es möglich. Sie hatte in der Tat ein Händchen dafür gehabt, Verbrechen aufzuklären. Wie hatte ein Subaltern damals gesagt? Als ob sie in die Köpfe der Verbrecher sehen könnte. Nur war ihm gar nicht klar gewesen, wie recht er damit hatte. Sie wusste, wie sie dachten, weil sie selbst eine Verbrecherin gewesen war.
Recht früh hatte sie die Aufmerksamkeit eines Mannes erregt, der sie lachend darin bestärkt hatte, das Unmögliche zu wagen. Erst nur ihr Vorgesetzter, später Freund und Lehrmeister und ganz zum Schluss auch Liebhaber, war Herzog Albrecht, der jüngere Bruder Kaiser Heinrichs, kein Mann, der das Wort »unmöglich« kannte.
Unter seinem Schutz war ihr Licht hell erstrahlt, war sie von Erfolg zu Erfolg
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