Der Falke von Aryn
Kaiserplatz, und obwohl es schon dunkel war, fiel es ihm nicht schwer, die hochgewachsene Gardistin auszumachen, die mit schnellen Schritten den Platz überquerte. »Wie fühlt es sich denn an, Schicksal zu spielen?«
Der Graf schnaubte. »Bis jetzt? Gut, würde ich sagen. Fellmar, vergiss nicht, wir gleichen hier ein altes Unrecht aus.«
»Habt Ihr sie gefragt, ob sie das will? Sie sah nicht so aus, als ob sie Eure Hilfe zu schätzen weiß.«
»Ja«, knurrte der Graf. »Das hat sie deutlich genug gemacht. Dennoch wird sie meine Hilfe brauchen. Die letzten Berichte aus der Hauptstadt zeigen, dass sie nicht weiß, wie sie mit solchen Dingen umzugehen hat. Sie ist wie ihr Vater darin, der hat sich auch nie um die Feinheiten geschert, man sieht ja jetzt, wohin es sie gebracht hat!«
»Dennoch wollt Ihr sie auf diesen Ball zwingen. Ist das denn klug?«
»Sie ist nicht nur eine Soldatin, Fellmar«, erinnerte ihn der Graf. »Sie ist eine Baroness. Ihre Mutter beherrschte jeden Ball, auf dem sie jemals war, es liegt ihr im Blut, auch wenn sie es nicht wahrhaben will. Gräfin Alessa wird sich um alles kümmern, was noch zu tun bleibt. In der Hauptstadt ist man schmählich mit ihr umgegangen, doch wenn sie auf diesem Ball erscheint, wird jeder wissen, dass sie über unsere Unterstützung verfügt!«
»Ihr habt aber nicht vergessen, dass diese Stadt eine lange Erinnerung besitzt und es solche gibt, die dafür töten würden, damit all das, was damals geschah, verborgen bleibt?«
»Ich schulde es ihrer Mutter«, wiederholte Mergton und stand ebenfalls auf, um sich zu Fellmar an das Fenster zu gesellen, doch es war zu spät, sie war nicht mehr zu sehen.
»Nicht, wenn es ihre Tochter umbringt«, gab der alte Sekretär zu bedenken.
»Das wird schon nicht geschehen«, sagte der Graf nachlässig. »Du hast dich um alles gekümmert?«
Fellmar zuckte mit den Schultern. »Die Gräfin weiß Bescheid. Götter«, seufzte er. »Ihr und die Gräfin seid wie zwei alte Kriegspferde, die den Ruf zur Schlacht vernehmen, sie zitterte schon an den Flanken, bevor ich ihr alles habe erklären können.«
»Lasse sie nur nicht hören, dass du so von ihr denkst«, lachte der Graf.
»Ich bin nicht lebensmüde«, antwortete der Sekretär steif. »Seid Ihr denn sicher, dass Ihr nicht doch die Toten schlafen lassen wollt? Es ist nicht zu spät, um noch alles abzubrechen.«
Der Graf wandte sich vom Fenster ab und musterte den Mann, der ihm schon so lange Vertrauter und Freund zugleich war. »Wir sind jetzt beide in die Jahre gekommen, Tomas. Hast du dich noch nie gefragt, ob es Dinge in deinem Leben gibt, die du heute anders angegangen wärst? Würdest du nicht auch die Gelegenheit ergreifen, altes Unrecht wieder auszugleichen?«
»Ja, Herr Graf«, sagte der Sekretär leise. »Das würde ich. Aber ist es klug?«
Der Graf seufzte. »Das wird sich zeigen.« Er ließ den Vorhang fallen und trat an seinen Schreibtisch, um die Akte darauf nachdenklich anzusehen und dann mit seinem Finger gerade zu rücken. »Das wird sich zeigen.«
Die Schiefe Bank
4 Zu behaupten, dass Lorentha, Baroness Sarnesse, Major der kaiserlichen Garda, den Gouverneurspalast mit gemischten Gefühlen verließ, wäre eine Untertreibung gewesen. Tatsächlich gab sie sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen, als sie mit langen Schritten den Kaiserplatz überquerte.
Zum einen war da Graf Mergton. Ein freundlicher, kleiner Mann, rundlich, mit blitzenden Augen und einem Lächeln, das überraschend viel Wärme zeigte. Jemand, dem sie vertrauen konnte. Der es gut mit ihr meinte. Jedenfalls war das der Eindruck, den er auf sie hatte machen wollen.
Sie schnaubte verärgert. Der Mann war seit über dreißig Jahren Gouverneur einer Stadt, die seit zwei Jahrhunderten nicht zur Ruhe gekommen war. Ein Mann, der es sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht hatte, die kaiserlichen Interessen hier zu vertreten. Jemand, der sich – alleine schon, um so lange auf einem solchen Posten zu überleben – sehr gut mit den Spielregeln von Intrigen und Macht auskennen musste. War es nicht zudem so, dass ein Gouverneur immer auch dem kaiserlichen Geheimdienst vorstand? Dennoch sagte Lorentha ihr Bauchgefühl, dass er es gut mit ihr meinte. Allerdings sagte ihr dasselbe Bauchgefühl, dass er Dinge vor ihr verbarg.
Wäre schön, dachte sie unzufrieden, wenn ihre Gefühle sich mit sich selbst einigen könnten, sie hasste es, wenn sie nicht wusste, wie sie einen Menschen einzuschätzen hatte.
Zum
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