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Der Fall Charles Dexter Ward

Titel: Der Fall Charles Dexter Ward Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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Der Brief hatte folgenden Wortlaut:
    Providence, R. I., 100 Prospect St., 8. März 1928 Lieber Dr. Willett!
    Ich glaube, die Zeit ist reif für die Enthüllungen, die ich Ihnen so oft versprochen habe und auf die Sie so oft gedrängt haben. Für die Geduld, mit der Sie gewartet, und das Vertrauen, das Sie in meinen Geisteszustand und meine Rechtschaffenheit gesetzt haben, werde ich Ihnen zeit meines Lebens dankbar sein.
    Und nun, da ich sprechen kann, muß ich demütig eingestehen, daß mir niemals der Triumph zuteil werden wird, von dem ich geträumt habe. Anstelle eines Triumphes bleibt mir nur Entsetzen, und ich schreibe Ihnen nicht, um mich eines Sieges zu rühmen, sondern um Sie inständig zu bitten, mir Rat und Hilfe zu gewähren, damit ich mich und die ganze Welt vor einem Schrecken jenseits aller menschlichen Vorstellungskraft retten kann. Sie erinnern sich, was in den Fenner-Briefen über jene Strafexpedition nach Pawtuxet gestanden hat. All das muß sich jetzt wiederholen, und zwar so schnell wie möglich. Von uns hängt mehr ab, als man in Worte fassen kann - die gesamte Zivilisation, das gesamte Naturgesetz, vielleicht sogar das Schicksal des Sonnensystems und des Universums. Ich habe eine ungeheuerliche Abnormität ans Licht gebracht, aber ich tat es im Interesse der Wissenschaft. Im Interesse allen Lebens und aller Natur müssen Sie mir jetzt helfen, diese Ungeheuerlichkeit wieder in die Finsternis zurückzustoßen.
    Ich habe den Bungalow bei Pawtuxet für immer verlassen, und wir müssen alles ausrotten, was sich dort befindet, sei es lebendig oder tot. Ich werde nie mehr dort hingehen, und Sie dürfen es nicht glauben, wenn Sie jemals hören sollten, ich sei dort. Warum ich dies sage, werden Sie erfahren, wenn ich Sie sehe. Ich bin für immer nach Hause zurückgekehrt, und möchte, daß Sie mich so bald wie irgend möglich besuchen und sich fünf oder sechs Stunden hintereinander anhören, was ich zu sagen habe. So lange wird es dauern - und bitte glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, daß Sie nie eine ernstere berufliche Pflicht gehabt haben. Mein Leben und mein Verstand sind nur die allergeringsten Dinge, die auf dem Spiel stehen.
    Ich wage nicht, meinen Vater ins Vertrauen zu ziehen, denn er würde das alles nicht begreifen. Aber ich habe ihm erzählt, in welcher Gefahr ich mich befinde, und er läßt das Haus durch vier Leute von einem Detektivbüro bewachen. Ich weiß nicht, was sie ausrichten können, denn sie haben Mächte gegen sich, die sogar Sie sich kaum vorstellen können. Kommen Sie deshalb schnell, wenn Sie mich noch lebend antreffen wollen, und hören Sie, wie Sie mir helfen können, den Kosmos vor dem schieren Inferno zu retten.
    Sie können kommen, wann Sie wollen - ich werde nicht aus dem Haus gehen. Rufen Sie nicht vorher an, denn wer weiß, wer oder was versuchen könnte. Sie abzuhören. Und lassen Sie uns beten, zu welchen Göttern auch immer, daß nichts dieses Treffen verhindern möge.
    In tiefster Verzweiflung, Ihr Charles Dexter Ward P.S. Erschießen Sie Dr. Allen sofort, falls Sie ihn sehen, und lösen Sie seinen Körper in Säure auf. Verbrennen Sie ihn nicht!
    Dr. Willett erhielt diese Nachricht gegen halb elf Uhr vormittags und traf sofort die nötigen Vorbereitungen, um sich den ganzen Spätnachmittag und Abend für das wichtige Gespräch freizuhalten, so daß es notfalls auch bis tief in die Nacht hinein würde dauern können. Er wollte gegen vier dort sein, und während der noch verbleibenden Stunden war er so sehr in alle Arten abenteuerlieher Spekulationen versunken, daß er die meisten seiner Arbeiten rein mechanisch erledigte. So wahnsinnig der Brief auch einem Fremden erschienen wäre, Willett kannte Charles Wards exzentrisches Wesen zu gut, um ihn als das Geschreibsel eines Irren abzutun. Daß irgend etwas äußerst Unfaßbares, Altes, Schreckliches in der Luft lag, dessen war er ganz sicher, und der Auftrag im Hinblick auf Dr. Allen war fast verständlich angesichts der Gerüchte, die in Pawtuxet über Wards rätselhaften Kollegen in Umlauf waren. Willett hatte den Mann nie gesehen, aber viel über sein Aussehen und Gebaren gehört, und er fragte sich unwillkürlich, was für Augen diese vieldiskutierten Brillengläser wohl verbergen mochten.
    Pünktlich um vier Uhr stellte sich Willett vor dem Haus der Wards ein, mußte jedoch zu seinem Verdruß erfahren, daß Charles nicht seinem Entschluß treu geblieben war, das Haus nicht zu verlassen. Die Wächter waren da,

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