Der Fall Charles Dexter Ward
schreckliche Dinge eingelassen, aber er hat dafür bezahlt, und er war nie ein Ungeheuer oder ein Schurke. Wie es jetzt um ihn steht, darüber denke ich lieber nicht nach. Eine Veränderung vollzog sich, und ich bin geneigt anzunehmen, daß damit der alte Charles Ward starb. Zumindest starb seine Seele, denn jener irrsinnige Körper, der aus Waites Irrenanstalt verschwand, hatte eine andere.«
Willetts Wort hat Gewicht, denn er war oft im Hause der Wards, um nach Mrs. Ward zu sehen, deren Nerven allmählich unter der starken Belastung versagten. Ihr nächtliches Lauschen hatte zu gewissen makabren Halluzinationen geführt, die sie zaghaft dem Doktor anvertraute; Willett zog diese Dinge ihr gegenüber ins Lächerliche, obwohl sie ihm viel zu denken gaben, wenn er allein war. Diese Einbildungen betrafen stets die schwachen Geräusehe, die sie in dem Labor und dem Schlafzimmer im Dachgeschoß zu hören meinte, und sie beharrte darauf, es handle sich um gedämpftes Seufzen und Schluchzen zu den unmöglichsten Zeiten. Anfang Juli verschrieb Dr. Willett Mrs. Ward einen Erholungsaufenthalt von unbestimmter Dauer in Atlantic City und schärfte sowohl Mr. Ward als auch dem verstörten und scheuen Charles ein, ihr nur aufmunternde Briefe zu schreiben. Wahrscheinlich verdankt sie es dieser unfreiwilligen Flucht, daß sie noch am Leben und bei klarem Verstande ist.
2 Nicht lange nach der Abreise seiner Mutter begann Charles mit den Verhandlungen über den Kauf des Bungalows bei Pawtuxet. Es war ein schmutziges, kleines Holzhaus mit einer Betongarage, hoch auf dem dünn besiedelten Flußufer etwas oberhalb von Rhodes, doch aus irgendeinem unerfindlichen Grunde wollte der junge Mann dies und nichts anderes. Er ließ den Immobilienmaklern so lange keine Ruhe, bis einer von ihnen das Haus zu einem exorbitanten Preis für ihn von dem etwas widerstrebenden Besitzer gekauft hatte, und sobald es geräumt war, zog er unter dem Schütze der Nacht ein, wobei er in einem großen, geschlossenen Lieferwagen die gesamte Einrichtung seines Labors hinüberschaffte, einschließlich der Bücher über okkulte wie auch moderne Themen, die er aus seiner Bibliothek entfernt hatte. Er ließ den Lieferwagen in den Stunden nach Mitternacht beladen, und sein Vater erinnert sich nur, in jener Nacht im Halbschlaf unterdrückte Flüche und schwere Tritte gehört zu haben. Danach bezog Charles wieder seine Räume im dritten Stock und hielt sich nie mehr in den Dachkammern auf.
Den Bungalow bei Pawtuxet umgab Charles mit derselben Heimlichtuerei wie früher die Räume im Dachgeschoß, nur schien er jetzt zwei Leute in seine Geheimnisse eingeweiht zu haben; einen verschlagen aussehenden portugiesischen Mischling aus dem Hafenviertel an der South Main Street, der als Diener fungierte, sowie einen mageren, gelehrtenhaften Fremden mit dunkler Brille und einem struppigen und offenbar gefärbten Vollbart, bei dem es sich anscheinend um einen Kollegen handelte. Die Nachbarn versuchten vergeblich, mit diesen beiden sonderbaren Menschen ins Gespräch zu kommen. Der Mulatte Gomes sprach nur sehr wenig Englisch, und der Bärtige, der sich Dr. Allen nannte, folgte seinem Beispiel. Ward selbst gab sich Mühe, umgänglicher zu erscheinen, erregte aber nur Neugier durch seine weitschweifigen Berichte über chemische Forschungen. Es dauerte nicht lange, und die Leute begannen darüber zu reden, daß in dem Bungalow die ganze Nacht hindurch Licht brannte; und etwas später, als die Fenster in der Nacht plötzlich dunkel blieben, machten noch seltsamere Gerüchte die Runde -über unverhältnismäßig hohe Fleischkäufe beim Metzger und über das gedämpfte Rufen, Deklamieren und die rhythmischen Gesänge und Schreie, die aus einem sehr tiefen Keller unter dem Haus heraufzudringen schienen. Den größten Unwillen und Abscheu erregte der neue und sonderbare Haushalt bei den ehrsamen Bürgern in der Nachbarschaft, und es ist nicht verwunderlich, daß dunkle Vermutungen über einen Zusammenhang zwischen dem verhaßten Anwesen und den um sich greifenden vampirischen Überfällen und Morden angestellt wurden, zumal die Vorfälle sich jetzt ganz auf Pawtuxet und die angrenzenden Straßen von Edgewood beschränkten.
Ward verbrachte die meiste Zeit in dem Bungalow, übernachtete aber gelegentlich in seinem Elternhaus und wurde noch immer als Mitglied des Haushalts angesehen. Zweimal verließ er die Stadt, um auf wochenlange Reisen zu gehen, deren Bestimmungsorte bis heute unbekannt
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