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Der Fall Collini

Der Fall Collini

Titel: Der Fall Collini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand von Schirach
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würde auf ein Zündblättchen prallen und so einen Funken erzeugen. Die deutschen Zünder hatten sie nicht verwenden können, sie hatten zu kurze Laufzeiten und zischten zu laut. Der Mann stellte das leere Glas auf den Tresen, legte das Geld daneben und verschwand. Achtzehn Minuten später detonierte das Plastit W mit einer Geschwindigkeit von 8750 Meternpro Sekunde, weit heftiger als TNT. Die Druckwelle zerquetschte den Körper des Soldaten, der gerade neben der Tasche gestanden hatte und zerriss einem anderen Mann die Lunge, beide waren sofort tot. Tische und Stühle wurden durch die Luft geschleudert, Flaschen, Gläser und Aschenbecher zerbarsten. Ein Holzsplitter drang einem Unteroffizier ins linke Auge, vierzehn weitere Soldaten wurden verletzt, sie hatten Glassplitter im Gesicht, in den Armen und der Brust. Die Scheiben des Cafés platzten, die Tür wurde aus den Angeln gerissen und lag auf den Pflastersteinen.
    Der Dolmetscher wachte um zwei Uhr morgens auf. Er hatte Rückenschmerzen, weil er wieder auf dem Sofa geschlafen hatte, er wollte seine Frau und die Kinder in der engen Wohnung morgens nicht wecken. Seit Wochen ging das so, seit der neue Deutsche die Dienststelle der Nazis in Genua übernommen hatte und sie wie ein Unternehmen führte. Der Neue hieß Hans Meyer. Er sollte die Streiks in dem Bezirk beenden – die Unternehmen wurden für die Kriegsproduktion gebraucht.
    Der Dolmetscher blieb noch einen Moment liegen. Oft dachte er daran, dass er lieber in seinem Dorf in den Bergen über Meran geblieben wäre, wo er im Sommer vor vierzehn Jahren seine Frau imGasthof seiner Eltern kennengelernt hatte. Nach frischen Erdbeeren hatte sie gerochen, sie war viel eleganter als die Mädchen aus seinem Dorf, selbst dort oben hatte sie Schuhe mit hohen Absätzen getragen. Ihre Eltern hatten der Verlobung zugestimmt, er war ihr nach Genua gefolgt, und die Dinge waren lange Zeit gut gegangen. Aber als der Krieg begonnen hatte, war der Vater krank geworden, sie hatten alles verkaufen müssen, um die Rechnungen der Ärzte zu bezahlen. Er hatte auf dem Schwarzmarkt gehandelt: Lebensmittel, Zigaretten, manchmal ein wenig Schmuck. Er hätte so weiterleben können, irgendwann musste der Krieg ja zu Ende sein.
    Dann hatte er Pech gehabt. Die Deutschen hatten im Hafen »Banditen« gesucht, so nannten sie die Partisanen. Er war kein Partisan, er hatte nur seine Sachen verkauft, aber er floh mit den anderen und versteckte sich in einem Lagerhaus. Eine Partisanin lag vorne am Eingang, er war einfach über sie weggestiegen. Sie blutete stark, um sie war der Boden schon schwarz. Er wartete in seinem Versteck und hörte, wie die Frau stöhnte. Irgendwann hörte er sie nicht mehr. Er ging nach vorne und sah sie an. Dann spürte er den Lauf eines Gewehrs im Rücken.
    Die Deutschen nahmen ihm seine Taschen mit den Lebensmitteln und den Zigaretten ab und brachtenihn auf die Dienststelle. Als sie mitbekamen, dass er als Südtiroler Deutsch sprach, sagten sie, er müsse ins Gefängnis oder für sie dolmetschen.
    Der Dolmetscher stand auf, nahm seine Sachen vom Stuhl und zog sich an. Eine halbe Stunde später verließ er die Wohnung. Er nahm das Fahrrad, um in den Stadtteil Marassi zu fahren. Der Dienststellenleiter der Abteilung V – Kriminalpolizei – hatte ihm gesagt, er solle spätestens um Viertel vor drei im Gefängnis sein. Sie hatten ihm nicht gesagt, was sie vorhatten. Sie mussten es auch nicht, er wusste es längst. Es hatte schon früher Anschläge auf deutsche Soldaten gegeben, aber die Bombe im Café Trento konnten sie nicht hinnehmen. Sie würden mit »unnachgiebigen Maßnahmen« durchgreifen. Solche Worte sagten die Deutschen immer: »unnachgiebig«.
    Im Marassi-Gefängnis bekam er die Liste. Es war drei Uhr morgens. Er musste die Nummern hinter den Namen über den Flur rufen. Nur die Nummern, keine Namen, zwanzig auf der Liste. Keiner von ihnen hatte mit dem Anschlag zu tun. Dann standen die Gefangenen vor ihren Zellen, es roch nach Schlaf. Der Deutsche aus der Abteilung V stotterte, wenn er leise redete. Aber wenn er laut wurde, stotterte er nicht mehr. Der Dolmetscher musste übersetzen. Die Männer sollten sich anziehen, sie würden verlegt,ihre Sachen sollten sie dalassen, man werde sie nachschicken. Das war ein Fehler: Niemand schickte in diesen Zeiten Sachen von Gefangenen irgendwohin. Die Gefangenen wussten sofort, dass sie heute sterben würden. Am Ende überprüfte der Deutsche die Nummern an den Türen der

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