Der Fall Demjanjuk
er den gewünschten Effekt unweigerlich zunichtegemacht.
Gleich am ersten Prozesstag habe ich mir die Frage notiert: «Rechtsanwalt Busch: ein Problem für Demjanjuk?»
Wenn man ihn aber darauf anspricht, dann bestreitet Busch vehement, er betreibe eine Strategie der Konfliktverteidigung. «Das ist ein absolutes Missverständnis. Das ist eine rein sachliche Verteidigung.» Konflikte, sagt der Anwalt, ergäben sich nur, wenn er bemerke, dass er thematisch eingeschränkt werden solle.
«Es will keiner hören, dass es in erster Linie um deutsche Taten geht, denn Deutsche haben das Lager in Trawniki errichtet und das Vernichtungslager in Sobibor. Das waren keine ukrainischen Gefangenen, das waren Deutsche. Das will niemand hören.»
Busch fixiert sein Gegenüber, starrt den Gast über die Ränder seiner Lesebrille hinweg an.
«Es will niemand hören, dass sowjetische Soldaten umgebracht worden sind, massenhaft. Es will niemand hören, dass Demjanjuk 33 Jahre Prozessgeschichte hinter sich hat. Es will niemand hören, dass Demjanjuks angeblicher Einsatz in Sobibor in Israel zentraler Gegenstand der Anklage war. All das will niemand hören, aber das akzeptiere ich nicht. Wie ich verteidige, das bestimme ich, und wenn die anderen, die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger, das nicht hören wollen, dann sollen sie gehen.»
Buschs Kopf glüht. Seine eigenen Argumente tragen ihn mitunter davon. Er ist nicht brillant, das nicht. Aber er ist engagiert, er hat Feuer gefangen. Für Busch ist das nicht irgendein Fall. Er ist auf einer Mission.
Als ihm die Nebenklägeranwälte bei der Vernehmung des Urkundensachverständigen Anton Dallmayer am 14. April 2010 einmal vorwerfen, er berufe sich auf eine «offenkundig rechtsradikale Webseite», läuft Busch vor Zorn dunkelrot an. Seine Stimme überschlägt sich beinahe: «Ich hole mir meine Informationen, wo ich sie kriegen kann!», ruft er – «und wenn es der Teufel selbst ist!»
Es ist nur eine kleine Szene, ein Moment unter vielen. Aber in dem theatralischen Ausbruch verdichtet sich exemplarisch Ulrich Buschs Sicht auf den Prozess. Er fühlt sich als einsamer Streiter, umgeben von Widersachern, schikaniert vom Gericht. Ulrich Busch gegen den Rest der Welt – zur Not im Pakt mit dem Teufel.
Es mag auch mit seinem Einzelkämpfertum zu tun haben, dass Busch dazu neigt, seine Argumente wie mit der Schrotflinte abzufeuern, hierhin und dorthin, unpräzise, ohne viel Durchschlagskraft. Das trägt einiges zum Eindruck des Zerstreuten, beinahe Chaotischen bei, den die Verteidigung gelegentlich erweckt. Als Ulrich Busch jedoch schließlich mit seinem Schlussplädoyer beginnt, zeigt sich ein anderes Bild. Vor ihm liegt ein Aktenordner mit vielen eng bedruckten Seiten. Er liest mit lauter, kräftiger Stimme, Stunde um Stunde, viereinhalb Verhandlungstage wird das Plädoyer am Ende in Anspruch nehmen. Es ist auch eine Übung in Kraft und Konzentration, für das Gericht, für die Zuhörer,vor allem aber für Busch selbst. Gelegentlich schiebt er die Ärmel seiner Robe hoch, sodass seine nackten Unterarme zum Vorschein kommen.
Buschs Plädoyer ist in zwanzig Kapitel gegliedert, deren Überschriften er zur besseren Verständlichkeit mit vorliest. Wenn man sie rafft und verknappt, bleiben fünf Verteidigungslinien. Alle sind sie im Prozess wiederholt angeklungen, jetzt versucht der Verteidiger eine Systematisierung, aber wie schon zuvor gehen dabei sehr ernst zu nehmende juristische Argumente immer wieder in einem Wust von Vorwürfen und Verschwörungstheorien unter.
Busch bestreitet, dass ein deutsches Gericht überhaupt über Demjanjuk urteilen dürfe. Sein Mandant sei «Objekt eines illegitimen, verfassungswidrigen Verfahrens». Nach dem Urteil des israelischen Supreme Court, das Demjanjuk trotz Sobibor auf freien Fuß gesetzt habe, und nach der Entscheidung einer polnischen Behörde, die ihre Ermittlungen gegen seinen Mandanten eingestellt habe, hätte in Deutschland wegen der gleichen Tat nicht noch einmal ein Prozess gegen Demjanjuk geführt werden dürfen. Auch die Zentrale Stelle in Ludwigsburg habe seinen Mandanten schon im Jahr 2003 «materiell freigesprochen», da sie einen konkreten Tatvorwurf nicht erkennen konnte. An der Beweislage habe sich seither nichts geändert, und dennoch sei Demjanjuk plötzlich angeklagt worden, es sei ein Schuldvorwurf konstruiert worden, «größer als der Mount Everest».
Busch hält es, zweitens, nicht für erwiesen, dass Demjanjuk in
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