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Der Fall Demjanjuk

Der Fall Demjanjuk

Titel: Der Fall Demjanjuk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Wefing
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bescheidenes Ziel gesetzt, jedenfalls hat er das in einem Interview mit der Zeitschrift «Esquire» gesagt. Es gehe ihm nicht darum, diesen Prozess zu gewinnen: «Mein Ziel ist es, Demjanjuk aus der Haft zu holen, solange er noch lebt.»
    Und wohin würde er dann gehen?
    «Das ist die Frage», sagt Busch. «Was ist die Freiheit in diesem Fall anderes als die Unfreiheit? Er würde in eine neue Unfreiheit entlassen, in ein deutsches Altersheim. Irgendwo, isoliert, mit noch weniger Zuspruch vielleicht als in der Untersuchungshaft jetzt.»
    Kann er denn nicht zurück zur Familie, in die Vereinigten Staaten?
    «Das ist nur ein Wunschtraum. Dann müssten die Amerikaner sagen, wir nehmen ihn aus humanitären Gründen zurück. Kann ich mir schwer vorstellen, wenn nicht die Bundesregierung massiven Druck macht. Derzeit ist Demjanjuk staatenlos. Er hat keinen Pass, er kann nirgendwohin.»
    Gut möglich, dass es diese vermeintliche Aussichtslosigkeit ist, die Busch antreibt. Die ihn motiviert.
    Tatsächlich betreibt Busch die Verteidigung überwiegend im Alleingang. Berater hat er kaum. Mit dem anderen Pflichtverteidiger, dem 75 Jahre alten Günther Maull, einem alteingesessenen Münchner Anwalt, verbindet ihn wenig. Einmal, bald nach Beginn des Prozesses, gab es einen kurzen, heftigen Wortwechsel zwischen den beiden, im Gerichtssaal, in aller Öffentlichkeit, die Journalisten schrieben eilig mit. Maull müsse sich endlich entscheiden, auf welcher Seite er stehe, zischte Busch. Aber die Sache habe sich erledigt, sagt er heute. «Ich beschwere mich nicht. Der Kollege Maull hat sich mehr und mehr in seiner Rolle gesteigert, das sehe ich sehr positiv.» Die Arbeitsteilung zwischen den beiden ist freilich klar. Busch spricht, stellt die Anträge, bestimmt die Strategie, streitet mit den Nebenklägern und dem Gericht. Maull sitzt daneben, meistens schweigt er.
    Sein Vorgehen stimmt Busch mit der Familie Demjanjuk ab. Mehrere Male ist er in die Vereinigten Staaten geflogen, um sich mit der Familie und deren amerikanischen Freunden zu beraten. Gelegentlich, sagt er, telefoniere er auch mit Yoram Sheftel, dem israelischen Anwalt, der Demjanjuk aus der Todeszelle geholt hat.
    Und dann ist da noch Buschs Frau, eine energische blonde ehemalige Lehrerin mit leichtem amerikanischen Akzent. Sie ist der Link in die ukrainische Community in den Vereinigten Staaten, zur ukrainischen Sache überhaupt. Ihre Eltern emigrierten nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Ukraine in die USA und ließen sich in Detroit nieder. Seit Jahren schon leitet Vera Kostiuk-Busch einen eigenen Verein, «Pro Ukraine e.V.», der Projekte in der Ukraine fördert; Busch ist der zweite Vorsitzende.
    «Meine Frau», sagt er, «war eine der Ersten, die in den Jahren nach1991 Hilfstransporte in die Ukraine organisiert hat. Drei Vierzigtonner hat sie losgeschickt, ist selbst in die Gegend gefahren, aus der ihre Eltern stammten, und hat dort Kinder- und Altenheime unterstützt.» Mittlerweile fördert «Pro Ukraine» vor allem ein Gymnasium in der Heimatstadt von Buschs Schwiegermutter, finanziert der Schule ein Computerzentrum und lobt für die Jahrgangsbesten Stipendien aus. «Bedürftigen zahlen wir Internats- und Lebensmittelkosten.» Im Jahr 2009 wurde Vera Kostiuk-Busch für ihre Bemühungen von einem ukrainischen Verein in Detroit als «Ukrainerin des Jahres» ausgezeichnet. Und Busch kann mit leuchtenden Augen von dem Land seiner Schwiegereltern erzählen, von den Menschen dort, von Kiew, einer «unglaublich schönen Stadt».
    Welche Rolle Vera Kostiuk-Busch im Fall Demjanjuk spielt, ob sie irgendeinen Einfluss hat auf die Verteidigung, das ist schwer zu sagen. Aber sie nimmt Anteil, das ist sicher, auch sie ist emotional engagiert. Immer wieder begleitet sie ihren Mann nach München, sitzt im Gerichtssaal, hinten auf den Zuschauerbänken, und verfolgt aufmerksam die Verhandlung. Gelegentlich schimpft sie, wenn ein Journalist oder ein Nebenklägeranwalt nicht richtig bei der Sache ist. Einmal, als ihr Mann gerade einen Beweisantrag nach dem anderen stellt, bemerkt sie scharf in Richtung der Pressebank, es sei ja wohl unangemessen, ausgerechnet jetzt Fotos von einem Skiurlaub auf dem Laptop anzuschauen. Zu Demjanjuks neunzigstem Geburtstag am 3. April 2010 hat ihm Vera Kostiuk-Busch ein Fax in die Haft geschickt: ein großes Herz, darin eine 90, mit dickem Filzstift von Hand gemalt. Und ein Jahr später, im April 2011, singt die Frau des Anwalts während einer

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