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Der Fall Demjanjuk

Der Fall Demjanjuk

Titel: Der Fall Demjanjuk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Wefing
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Verhandlungspause im Gerichtssaal ein kleines Geburtstagsständchen für den Angeklagten, in ukrainischer Sprache. Ein «Eklat» sei das, empört sich am Tag darauf die «Bild»-Zeitung.
    Über die persönliche Verbindung in die Ukraine ist auch der Kontakt zum Angeklagten entstanden. Als er gehört habe, dass Demjanjuk in Deutschland vor Gericht gestellt werden solle, habe er sich über eine befreundete Arztfamilie in Detroit an die Familie Demjanjuk gewandt, erzählt Busch. Da war sein Kollege Günther Maull bereits vom Gericht in München als Pflichtverteidiger für Demjanjuk bestellt worden. «Ohne Rücksprache mit der Familie», wie Busch sagt. Nun ist MaullPflichtverteidiger, Busch ist «Wahlpflichtverteidiger», sein Honorar und seine Auslagen bezahlt das Gericht. Einen eigenen Anwalt kann sich die Familie Demjanjuk nicht leisten. Die Millionen, die die ukrainische Gemeinde in den USA in den vergangenen dreißig Jahren für seine Verteidigung aufgebracht hat, sind längst verbraucht. Auch für Reisen nach München fehlen die Mittel. In Israel saßen Demjanjuks Frau und seine Kinder noch regelmäßig im Gerichtssaal, um ihrem Vater beizustehen. Nun können sie den Neunzigjährigen nur noch sporadisch sehen.
    Völlig abwegig ist der Gedanke nicht, Demjanjuk stehe allein gegen mächtige Interessen. In den Vereinigten Staaten ist er vor seiner Auslieferung nach Israel evident unfair behandelt worden. In Israel saß er jahrelang unschuldig in der Todeszelle. In Deutschland steht er mehr als 65 Jahre nach Kriegsende vor Gericht, als allererster ukrainischer NS-Gehilfe, dem jemals der Prozess gemacht wurde. Und die öffentliche Meinung, mindestens die veröffentlichte Meinung, ist fast durchweg gegen ihn. Das alles wäre Grund genug, das Verfahren in München mit gehöriger Skepsis zu betrachten. Skepsis ist die vornehmste Pflicht des Strafverteidigers.
    Aber Ulrich Busch belässt es nicht beim Nachbohren, er versucht nicht nur, Widersprüche offenzulegen und Lücken in der Beweisführung anzuprangern. Er attackiert. Der Anwalt hat einiges Talent zur Polemik, eine vielleicht professionelle Lust an der Zuspitzung. Wenn seine Anträge abgelehnt werden, dann ist das ein «Justizskandal». Wenn sein Mandant trotz aller Gebrechen vor Gericht erscheinen muss, dann ist das «Folter». Die Medien bezeichnet er schon mal als «Hinrichtungspresse».
    Man kann so sprechen als Verteidiger, natürlich, und Busch hat sich für die kantige Vorwärtsverteidigung entschieden. Aber so zu reden, das hat Folgen. Und die sind nicht notwendig von Vorteil für den Angeklagten. Gleich zu Beginn des Prozesses hat Busch sich und seinem Mandanten viele Sympathien verscherzt, als er die Abschiebung Demjanjuks aus den USA in die Bundesrepublik als «Zwangsdeportation» bezeichnete.
    Es ist eine Provokation, das muss auch Busch klar gewesen sein. ImGericht hat er gesagt, das lateinische «deportare» bedeute eben «wegbringen». Aber das hat niemanden überzeugt. «Deportation» ist kein unschuldiges Wort in Deutschland, schon gar nicht in einem Prozess, in dem es um den massenhaften Mord an Juden in Sobibor geht. Wollte Busch die – möglicherweise rechtswidrige – Auslieferung eines mutmaßlichen Straftäters von einem Rechtsstaat in einen anderen mit den Viehwagentransporten in die Todeslager gleichsetzen? Warum diese Neigung zur rhetorischen Eskalation?
    Wer gehört werden will, muss auch mal laut werden, sagt er, daheim an seinem Schreibtisch in Ratingen, und legt die Hände um den Mund wie ein Megafon.
    «Erinnern Sie sich an die Fernsehbilder von Demjanjuks Ankunft in München, als auf jeder Autobahnbrücke zwischen dem Flughafen und der Justizvollzugsanstalt ein Kamerateam stand? Wenn Sie in einer solchen Situation Ihre Stimme erheben, müssen Sie laut und vernehmlich sprechen, damit Sie überhaupt gehört werden. Das ist der Auftrag, den das Bundesverfassungsgericht dem Verteidiger gibt: der Kampf ums Recht, möglicherweise auch mit starken Worten.»
    Es stimmt schon, Buschs Mandant hat in den Medien nie viel Sympathie gefunden. Für den Boulevard stand Demjanjuks Schuld von Anfang an fest. Die «Bild»-Zeitung hat den Angeklagten durchweg als «KZ-Schergen» bezeichnet, als gebe es nicht den leisesten Zweifel. Über den ersten Prozesstag schrieb der Fernsehmoderator Michel Friedman in der «Bild»: «Nein, ich habe kein Mitleid mit John Demjanjuk. Mitleid habe ich mit den Opfern, denen es nicht vergönnt war, ihr Leben zu erleben.»

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