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Der Fall der Feste

Der Fall der Feste

Titel: Der Fall der Feste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horus W. Odenthal
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verklingen, horchte dem Nachhall, den sie in der geraden, lichten Klarheit der Räume von Himmelsriff hinterließen.
    „Das heißt aber doch auch“, hörte er Darachel in die Stille hinein sagen, „dass dein Vater, dass du selber …“
    Wieder erinnerte er sich an den Traum von vor ein paar Nächten.
    „Warte, Darachel, nicht so rasch“, unterbrach er ihn hastig.
    Es war ein Traum gewesen, in dem er selber getötet worden war, ein Traum, in dem er einen kleinen Jungen mit einem Ring an einer Kette um den Hals gesehen hatte, in dem er ein Gefühl der Dankbarkeit gefühlt hatte, ihn in Sicherheit zu wissen.
    „Darüber können wir später reden“, fügte er zu dem Ninra gewandt hinzu. „Jetzt möchte ich nicht das Moment verlieren.“ So sagte er und wusste doch gleichzeitig, es war etwas anderes, das ihn zurückscheuen ließ. Er wusste nicht, ob er schon bereit war, Darachel von diesem Traum zu erzählen und aus dessen Mund die volle Konsequenz all dessen zu erfahren. „Ich will weitererzählen“, fuhr er fort, „so lange ich das, was dort in der Feste der Kinphauren geschah, noch ergreifen kann. Das, was danach geschah. Das was für mich schwer zu erfassen ist. Das wovon ich, auch heute, nur eine vage Ahnung habe.“

    Kinphaidranauk hatte gesehen, was mit ihm geschah.
    Sie hatte gespürt wie eine Veränderung durch das von Gewalttätigkeit aufgeschäumte, erschütterte Geflecht des Ortes ging. Ihrem Blick war es nicht entgangen.
    Eine Druckwelle wie eine reifkalte Flammenwalze ging durch das Kampfgetümmel. Kinphauren, mitten im erbitterten Kampf mit ihm, wurden davon ergriffen und wichen zurück. Wie eine Flutwelle, die sich teilt, strebte der Tumult der andrängenden Kinphauren auseinander, bildete eine Gasse.
    Die schlankgliedrige, schwarzgepanzerte Gestalt schritt hindurch. Sie setzte gelassen Fuß vor Fuß, und die Rüstungsteile schoben sich in der Bewegung gegeneinander wie die Wellen einer dunklen, fremden See unter einem kahlen Schlackenmond.
    Kinphaidranauk trat vor ihn.
    Sie kam nicht allein. Eine Präsenz war bei ihr, die sie zu diesem Zweck gerufen hatte.
    Ein Mahlstein knirschte schwer durch die Welt, ein Gesicht sah ihn an.
    Und hinter diesem Gesicht stand der lenkende Wille Kinphaidranauks.
    Das Gesicht musterte ihn kalt.
    Etwas Mächtiges griff in seinem Schädel Raum, roh und mitleidlos, tastete es alles ab, mit klinischer, erbarmungsloser Kälte, drängte es sich in jede Ecke, jede Nische und Ritze, legte seine Finger auf jede Verletzung, jede wunde Stelle, fand bloßliegendes Nervengewebe und bohrte sie hinein. Sengendes, durchbohrendes Licht fraß sich in jeden verborgenen Winkel. Er fühlte sich auf einen glatten, kalten Tisch geworfen und im grellen Licht von scharfen Klingen in all seine Bestandteile zerlegt.  
    Es tastete sich in seinem Geist durch Höhlungen und Schründe, versteckte, durch das stetige Hindurchwälzen immer wiederkehrender Gedankengänge glatt erodierte Kammern, durch Grotten und Kavernen, die sich in ihm unbekannten Tiefen verloren.
    Und es findet etwas.
    Es findet eine Spur, ein Zeichen, eine Signatur, ein Wesenhaftes. Etwas Bekanntes und Verwandtes, das soeben seine Kraft entfesselt hat.
    Und es findet, zu seinem Erstaunen, noch mehr. Etwas Verkapseltes, das schläft und wartet.
    Es schreckt zurück, besinnt sich, ungläubig zunächst. Es besieht aus seiner momentanen zurückgezogenen Warte, betastet, behorcht, wägt ab.  
    Es nimmt dieses eine Ding in Augenschein und durchleuchtet es.
    Es sieht dabei einen wahnsinnigen Geist erwachen und erkennen, dass seine Glieder von Licht verbogen und zersplittert sind. Dass seine Gedanken rasen wie Sonnenfeuer.
    Es sieht, wie etwas für einen Moment verwirrt worden ist, die Ordnung von Welt, Gedanken und Geistern neu gewürfelt und geschichtet, wie Barrieren eingerissen worden sind. Wie dort etwas hinterlassen wurde, ein Geschenk, eine Gabe des Dankes, das den Menschen, den es soeben erforscht, für einen Moment jenseits des Schauderns versetzt hat.
    Es versteht nicht gänzlich, was es dort sieht. Aber es erkennt ein Potential.
    Es registriert vage weitere Nuklei, weitere Sphären von Geschenken und Bindungen – eine besonders, zwei –, doch die streift es nur. Sie verblassen für ihn vor den beiden anderen Funden. Es wischt sie beiseite, beachtet sie nur beiläufig.
    Stattdessen stellt es seine beiden Entdeckungen nebeneinander. Ergründet, gliedert, analysiert. Dann schreckt es erneut zurück, erschaudert vage.

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