Der Fall der Feste
geisterten, ihre Schreie, ihr im Schmerz verzerrtes Gesicht, so wenig ihr eigenes, dass er es zunächst nicht einmal erkannt hatte. Nächte in Ilvenaum, aufs Meer hinausblickend, zu den schwankenden, fackelerleuchteten Rümpfen der großen Kriegsschiffe hin, Nächte im leinenen, von Lichtern durchflackerten Mutterleib eines Soldatenzeltes, erfüllt mit Gesprächen, Diskussionen und Intimität – sie alle waren zu zerfetztem, zerschundenem, schreiendem Fleisch geworden.
Ein blau-violett angelaufenes Gesicht, von Schlägen aufgedunsen, dass es schon fast unkenntlich wurde. Drei Worte auf Idirisch, die er zu verstehen glaubte. „Sohn …“ und „… kein Schlächter …“ Seine Mutter, die von dem Mann, der sie zur Beute und zur Frau genommen hatte, im Suff zu Tode geprügelt worden war. Von seinem Vater. Dessen Kopf lag als ein totes Ding an Lagen von Fellen, die den Steinboden bedeckten. Die Miene auf den Zügen dieses abgehackten Dings verzog sich von Häme zu Stolz, und dies war ihm so unerträglich, dass er sich abwenden wollte. Doch er konnte sich nicht abwenden. Von den Bildern, die in seinem Inneren aufstiegen, konnte er sich nicht abwenden. Die Kette des Valkaersrings war von dem nicht länger mit dem Kopf verbundenen Hals geglitten. Er hob den übergroßen Ring mit Daumen und Zeigefinger auf und hielt ihn sich vor sein Gesicht. Das in Stein gehauene langgezogene Raubkatzengesicht eines Kinphaurentieres in einem helmähnlichen Kopfschutz sah ihn durch den Rund des Ringes an. Es hatte ihn aus dem Dunkel eines quadratischen Höhlungsschachts in der Decke, mit schwerer, lauernder Macht von oben herab fixiert. Es verwandelte sich in das knochenbleiche Gesicht Kinphaidranauks, das ihn mit Augen ansah, deren Blicke ihn trafen wie ein Hammerschlag in die Brust.
Wie ein Mahrgeist, als wäre auch etwas aus dem unerforschlichen dunklen Ozean, aus dem die Kinphauren die Geister ihrer Wächter gefischt hatten, mit der Person dieser Frau verankert, welche es geschafft hatte, die zwieträchtigen Stämme der Kinphauren und anderer Nichtmenschen zu einer Allianz zu schmieden, die jetzt schon über Jahre hielt und deren Ziele über einen bloßen Raubzug über die Kämme des Saikranon in die Länder der Menschen hinausging.
Seine Nächte wurden zu einem Stolpern und Fallen durch ein Schattenreich. Als hätte sich ein Rückstand der Mahrgeister in seinem eigenen Geist abgelagert. Als hätte das Aktivieren der Wächterkette, das erneute Zusammentreffen mit dem Miasma dieser Geister, derer sich die Kinphauren bedienten, auch etwas in ihm ausgelöst, eine untergründige, düstere Saat geweckt. Seit seiner Begegnung mit Kinphaidranauk war es fast etwas wie eine Witterung, die er spürte, ein feiner, doch kenntlicher Geruch, der die Domänen dieser Wesen charakterisierte.
Eine Spätsommersonne ging auf über einem ihrer provisorischen Lager im Land, das die Menschen von Norgond Durenvarn nannten. Ringsumher herrschte Geschäftigkeit. Menschen, die sich noch immer als Soldaten der Sechzehnten sahen, packten ihre Sachen zusammen, sattelten ihre Pferde, prüften ihre Waffen.
Wie ein schartiges Sägeblatt zeichnete sich eine Bergkette, ein westlicher Ausläufer der Drachenrücken gegen die schwärende Wunde des Sonnenaufgangs ab. Er hörte Hufgetrappel und sah eine Gruppe von Kundschaftern in das Lager reiten, Kinvarda, die sie mit Pferden ausgestattet hatten, da es immer wichtiger wurde, Nachrichten von nahenden Trupps der Kinphauren möglichst schnell weiterzutragen.
Fast waren sie beim Riaudan-Pass angelangt, sowohl die ersten Vorausabteilungen des Nichtmenschenheeres als auch die Reste der Sechzehnten, die ihnen folgten und versuchten, mit Guerillaattacken dem Feind so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Sie standen ständig unter dem harten Druck der Entdeckung, durften ihre Lager nie lange bestehen lassen, mussten immer auf der Hut sein, in Minutenschnelle aufzubrechen. Plötzliche Überfälle auf isoliert umherziehende Abteilungen gelangen nur noch selten. Von vielen der Kinvarda hatten sie nichts mehr gehört. Djenzil, der Valgarentöter war schon seit längerem verschwunden, hatte sich wohl aus ihrem Kampf zurückgezogen und ging irgendwo anders seinem unergründlichen Rachefeldzug nach. Buke-vom-Grab war ebenfalls in letzter Zeit nicht mehr gesehen worden.
Ni-Konnacht war tot.
Sie hatten entdecken müssen, dass die Vortrupps von Kinphauren tatsächlich alte Relikte eines vergessenen Kinphaurenreiches
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