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Der Fall der Feste

Der Fall der Feste

Titel: Der Fall der Feste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horus W. Odenthal
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schwebte. Sie umgab ihn mit einer allgegenwärtigen, mächtigen Präsenz und er wusste sich von ihr umschlossen, geschützt und geborgen. Er war aus dieser Dunkelheit hervorgegangen, er würde wieder darin versinken. Es lag nichts Schreckliches darin.  
    Die Eklipse von roter Faust und weißem Ring würden ihren Weg weiter durch die Zeit nehmen, auch ohne ihn. Alle anderen seiner Art waren vernichtet, der letzte Vai-Ki‘ir jedoch würde weiter bestehen.  
    Das Gesicht einer Frau und eines Jungen erschienen im Dunkel vor ihm. Der Junge trug um den Hals eine Kette mit einem Ring, der zu groß für seine Finger war, der auch noch zu groß für seine Finger sein würde, wenn er zu einem Mann herangewachsen sein würde. Die Eklipse von roter Faust und weißem Ring würde durch die Zeit weiter schreiten.
    Feuer flammte in der Dunkelheit hoch. Erst ein Funke, dann hochlodernder Brand, der rasch zu einer gewaltigen Feuersbrunst wurde. Städte brannten, ganze Ebenen wurden von Flammen verschlungen. Armeen marschierten über ihre Aschefelder hinweg. Ein Keil von Wesen, verschieden in ihrer Art, doch alle von ihnen bleich glühend und schrecklich, mit glühenden Schwertern in den Händen, brach durch die noch rauchenden Trümmer der Bollwerke in die von ihm versammelte Abteilung von Kämpfern hinein. Rings um sie herum flackerten noch immer die Geisterzungen der Kräfte, die Mauerwerk und Befestigungen gesprengt hatten, die Wehranlagen, Mauerbrocken, mit ihnen zerfetzte Trümmer von Menschen hoch in die Luft getrieben hatten, so dass sie wie ein Hagel von Meteoriten zur Erde zurück donnerten und der aufsteigende Rauch das Licht verdunkelte. Durch die zerfetzten Schleier von Rauch und Flammen brachen sie hindurch und kamen über sie. Faust und Ring umfassten ihn in sicherem Halt, eine Wesensform, die ihn wie immer trug, als er, an der Spitze seiner Krieger sich den Feinden entgegenwarf. Schwerer Flügelschlag ließ den Himmel über ihm erbeben. Ein Schatten streifte die rauchverhüllten Weiten. Dann war der Drache plötzlich ganz nah, war über ihm, und er sah die Flammen Anaudragors durch dessen Körper lodern, durch die glatte Schwärze seiner Panzerhaut hindurch. Weite Schwingen schlugen und fegten jeden Gedanken fort, blähten sich zu den Seiten weg und verschlangen den Himmel.
    Er erwachte in Dunkelheit, suchte nach Halt und Orientierung. Die Luft war stickig und beißend von Rauch, ein Nest roten Glimmens befand sich vor ihm, die Reste seines kleinen Feuers. Die Schwere von Fels schloss ihn ein. Die Erinnerung, wo er war, stieg in ihm auf. Er streckte seine Glieder, stand auf, nahm mit Augen, die sich langsam an die Düsternis gewöhnten, die Höhle in Augenschein, die ihm für die Nacht Zuflucht geboten hatte.
    Das Wesen hatte ihn verlassen. Es war ein seltsames Gefühl nach all der Zeit. Da war eine Leere in ihm, an die er sich noch immer gewöhnen musste, ein Gefühl des auf sich selbst Zurückgeworfenseins, das sich seltsam grob und ernüchternd aber auch auf eine ihm fremde Art befreiend anfühlte.
    Sein Geist, sonst nichts. Sein Fleisch, sein Blut, seine Knochen.
    Ein Teil von ihm war weit fort von hier, in Sicherheit. Ein Teil von ihm würde immer bei ihnen sein, bei seiner Frau und seinem Sohn. Er vermisste sie, dass es ihm schier das Herz in der Brust umdrehen wollte. Das war der Preis, den er schon lange zahlte, an den er sich inzwischen gewöhnt haben sollte. Der Preis für ihre Sicherheit. Der Preis, an den er sich dennoch niemals wirklich gewöhnte, dessen Schmerz ihn in jedes Versinken in den Schlaf, in jedes Erwachen begleitete.
    Seine Frau und sein Sohn, die Feinde würden sie niemals finden.  
    Schon vor langer Zeit, als noch niemand sonst daran dachte, dass auch die Familien und Erben der Vai-Ki‘ir Ziel der Verfolgung werden konnten, hatte er Vorkehrungen getroffen und dafür gesorgt, dass sie für alle, die hätten Auskunft geben können, aus der Welt verschwanden. Das Gefühl sie in Sicherheit zu wissen, hatte ihm zwar in all den Jahren Trost spenden aber den Schmerz des Verlustes nicht wirklich mindern können.  
    In jenen letzten Tagen, als das Schicksal sich dann wendete, als schließlich nach den so überraschend verhängnisvollen großen Schlachten einer nach dem anderen von ihnen fiel, als die restlichen überlebenden Vai-Ki‘ir gnadenlos verfolgt und schließlich getötet wurden, war das Gefühl der Erleichterung, seine Frau und sein Sohn außerhalb seiner Reichweite und auch außerhalb

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