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Der Fall des Lemming

Der Fall des Lemming

Titel: Der Fall des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Geschäft, nichts Ernstes … Sehen Sie her, ich zeig Ihnen etwas …»
    Mit kurzen Schritten und wiegenden Hüften schwebt Olaf durch das Zimmer und verschwindet im Nebenraum, um gleich darauf mit einer kleinen gerahmten Fotografie zurückzukehren.
    «Das war voriges Jahr, auf Mykonos … Peter … das Bild habe ich gemacht …»
    Er streicht zärtlich über das Glas und nimmt wieder auf dem Sofa Platz.
    «Sehen Sie? Das ist er.»
    Der Mann auf dem Foto unterscheidet sich krass von dem Jungen aus dem Jahresbericht. Eine füllige, dicht behaarte Gestalt mit Schnurrbart und Glatze lacht dem Lemming entgegen. Erst bei näherem Hinsehen kann er Ähnlichkeiten mit dem Knaben von damals erkennen, den weichen Zug um die Augen, die dennoch buschigen Brauen, die breite, rundliche Nase. Das Bild muss am Strand aufgenommen worden sein. Mit nacktem Oberkörper steht Peter Pribil im sonnenglitzernden Wasser, seine Fäuste lachend in die Hüften gestemmt.
    «Und hier, können Sie das sehen?» Olaf rückt ein Stückchen näher und deutet auf einen winzigen Lichtreflex auf Pribils rechter Brustwarze. «Das habe ich ihm vor dem Urlaub geschenkt … ein Piercing … Peter war so stolz darauf, dass er …» Kokettes Kichern. Olaf wirft den Kopf zurück und hält sich verschämt die Hand vor den Mund. «Dass er … Weiter unten, da wo … Na, Sie wissen schon … Da hat er sich später auch eines machen lassen … in Form eines Fisches … Ein kleines Silberfischlein …»
    «Ah ja …», meint der Lemming. Und bevor er mit weiteren intimen Details über Peter Pribils Körperbehang konfrontiert wird, wechselt er rasch das Thema.
    «Morgen früh … Denken Sie, er wird in der Arbeit sein?» Armer Olaf. Noch mehr Salz in die offene Wunde.
    «Woher soll ich … Sie sehen doch, wie unzuverlässig er ist … Warum quälen Sie mich?» Er hält inne und fügt misstrauisch hinzu: «Was wollen Sie eigentlich von meinem Peter?»
    «Meine Güte, nein … Es ist rein beruflich. Da müssen Sie sich keine Sorgen machen …»
    «Sie sind ein sehr sensibler Mann …»
    Wieder kommt Olafs Hand über den Samt gekrochen, und rasch greift der Lemming zum Likörglas, als habe er es nicht bemerkt. Ja, wenn es Klara Breitners Hand gewesen wäre … «Möchten Sie noch ein Gläschen?»
    «Nein, danke, sehr freundlich … Ich glaube, ich muss jetzt …»
    Im selben Moment läutet draußen die Türglocke.
    «Hach! Nie hat man … Verzeihen Sie, mein Lieber. Das ist ja das reine Tollhaus!»
    Olaf flattert hinaus, um zu öffnen. Der Lemming steht auf und schlüpft in seine Jacke. Geht zur Zimmertür. Bleibt stehen. Lauscht. Eine tiefe, gedämpfte Männerstimme.
    «Ist Peter daheim?»
    «Leider … Aber wollen Sie nicht hereinkommen? Sie können ja hier auf ihn …»
    «Nein. Wann wird er wieder hier sein?»
    «Wenn ich das nur wüsste … Man hat es nicht leicht, man hat es gar nicht leicht …»
    Während Olaf seinen Klagegesang von neuem erhebt, wagt der Lemming einen Blick durch den Türspalt. Es ist dunkel im Treppenhaus, aber ein Lichtstrahl fällt aus dem Vorraum hinaus und streift das Gesicht des Besuchers. Den rötlichen Vollbart. Die kurze Nase. Die grünlichen Augen.
    «Danke», sagt der Mann. «Ich komme morgen wieder.»
    Da ist etwas, was ihm den Schlaf rauben wird. Etwas, was den Lemming zutiefst verwirrt. Nichts mehr ist klar, übrig bleibt nur eine Ahnung. Ein vager Verdacht, dass Dinge geschehen, die nicht geschehen dürfen, weil sie nicht geschehen können.

16 
    Ein Lächeln. Das ist der erste Gedanke nach dieser langen, kurzen Nacht. Das Lächeln der Klara Breitner. Wann ist der Lemming eingeschlafen? Um vier, um fünf Uhr früh? Stunde um Stunde hat er sich hin und her gewälzt, viel zu erschöpft, um das Licht und den Geist abzuschalten, und jede Falte seines schweißnassen Lakens war ihm ein kleiner, böser Feind. Güterzüge sind kreuz und quer durch seinen Kopf gerattert, graue Container voller Slibowitz, Haschisch und Eierlikör und andere mit riesigen rotbärtigen Hunden, deren Ohren im Fahrtwind flatterten. Später donnerten Waggons mit singenden Bonsaibäumchen vorüber, die aus allen Abteilen wucherten, und plüschige, moschusduftende Salonwagen, in denen verklärte Kriminalbeamte mit jungen Herren Händchen hielten.
    Es ist schon halb zehn, als der Lemming endlich erwacht, Montag, halb zehn, und im Hof vor dem Schlafzimmer ist es merkwürdig still. Kein Dröhnen und Bohren, Klopfen und Brüllen an diesem

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