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Der Fall des Lemming

Der Fall des Lemming

Titel: Der Fall des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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liegt es zwischen Sträuchern und Obstbäumen im hohen Gras. Wahrscheinlich ist es einmal ein Gartenheuriger gewesen, wie es in Ottakring viele gibt. Jetzt ist diese Frau da drinnen. Vielleicht steht sie am Fenster und beobachtet ihn und schleudert ihm wütende Blicke nach. Zurückgehen? Versuchen, das seltsame Missverständnis aufzuklären? Besser nicht. Keine weiteren Fehler machen. Erst einmal überlegen.
    Kurz vor der Sandleitengasse hört der Lemming Schritte hinter sich. Er dreht sich um und sieht wie durch einen Nebelschleier Klara Breitner auf sich zulaufen. Wenn das ein Film wäre, so denkt er im selben Moment, würde sie mir jetzt in die Arme fallen. Mich küssen. Aber es ist kein Film.
    «Warten Sie bitte! Ich möchte mich entschuldigen …» Klara Breitner ringt die Hände und seufzt. Ein zauberhaftes Seufzen.
    «Ich bin natürlich bereit … Bringen Sie den Hund doch einfach vorbei, und dann werden wir weitersehen. Einverstanden?»
    «Ja, sicher. Sehr gerne …»
    «Bis dann also …»
    Da ist es wieder, dieses Lächeln. Wie schön es ist … Und wie ansteckend: Wenig später, in der Straßenbahn, strahlt der Lemming wie ein frisch gestillter Säugling. Und es ist ihm egal, dass er nichts über Max Breitner herausgefunden hat.

    «Nehmen Sie doch ein Gläschen …»
    Gelb und sämig tropft der Eierlikör ins geschliffene Kristall.
    «Es tut ja so gut, mit jemandem reden zu können, der ein wenig … Verständnis hat.»
    Eine Hand schiebt sich weich und bedrohlich über den Samt der rubinroten Couch, schiebt sich auf die Hand des Lemming zu. Er zieht seine rasch zurück.
    In der Wipplinger Straße, unweit der Fleischerei seines Onkels am Hohen Markt, wohnt Peter Pribil. Ein herrschaftliches Haus mit breiten Treppen und Stukkaturen an den Plafonds, eine weiträumige, helle Wohnung im vierten Stockwerk, gediegen und großzügig eingerichtet. Geschmackvoll auch, mit einem Flair von Weiblichkeit. Ein bisschen zu viel Weiblichkeit, wie der Lemming findet. Zu viel Sanftes, Fließendes, Rötliches, zu viele Rüschen an den gerafften Vorhängen, zu viele Putten über dem goldenen Spiegel im Vorraum.
    Es ist nicht Peter Pribil, der neben dem Lemming auf dem Sofa sitzt. Es ist Olaf, ein Mann Mitte vierzig, der enge Lederhosen trägt und ein etwas zu weit geöffnetes Seidenhemd.
    «Cin-cin», sagt Olaf und hebt sein Glas mit spitzen Fingern.
    «Gesundheit. Wann wird er denn wiederkommen, der Herr Pribil?»
    «Wenn ich das nur wüsste … Man hat es nicht leicht, man hat es gar nicht leicht mit den Männern … Vorgestern hab ich ihn zum letzten Mal gesehen. Können Sie sich vorstellen, was ich durchmache? Geht man so mit einem Menschen um, den man … Aber Sie sind wahrscheinlich auch so einer …» Olaf schiebt die Schulter vor und bedenkt den Lemming mit einem schüchternen Blick, scheu und ein wenig lasziv.
    «Ich … äh … weiß nicht. Was war da vorgestern?»
    «Er kam heim … nach der Arbeit … wenn ich schon an seine Arbeit denke! Entsetzlich! Wie er das nur aushält! Mit all dem Blut! Also, ich könnte das nicht, sag ich Ihnen! Er kam heim, und wir haben gegessen und … er war noch so lieb zu mir. Er kann ja so galant sein, wenn er nur will … und dann sagt er plötzlich, er muss noch einmal weg … einfach so. Mit mir kann er’s ja machen. Das wäre ja nicht das erste Mal. Für ihn bin ich ja nur ein … Püh! Da sind die Sechzehnjährigen im Dampfbad oder drüben im Stuwerviertel schon interessanter …» Olaf wendet sich ab, vergräbt das Gesicht in den Händen.
    «Aber nein, Herr Olaf … Glauben Sie das nicht … Sie sind sicher, ganz sicher seine Nummer eins.»
    «Meinen Sie das wirklich? Sie wollen mich ja nur trösten. Aber das ist trotzdem … sehr lieb von Ihnen.»
    «Nein, wirklich … Oder denken Sie, dass irgend so ein junges … also, so ein junges … Ding … ihm das geben kann, was Sie ihm …»
    Ein Seufzen. Olaf hebt den Kopf. In seinen Augen glitzert es.
    «Das dachte ich auch. Vor allem in den letzten Wochen. Seit Jänner schon, als Peter in Triest gewesen ist, auf Betriebsausflug. Die Frauen seiner Mitarbeiter sind natürlich mitgefahren, aber er hat sich ja immer schon für mich geschämt … Jedenfalls kam er zurück, und dann war er auf einmal so rücksichtsvoll, so süß … ich hab mir schon fast Sorgen um ihn gemacht … so anschmiegsam … wie ein Kind … als ob ihn etwas bedrückt … Aber er hat nur gemeint, ein kleines Problem im

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