Der Fall Lerouge
Claire Gefallen finden und auf Grund seiner adligen Herkunft bei der Bewerbung um sie Erfolg haben könnte.
So beschloà er eines Tages im Frühling, alles zu wagen. Er betrat das Palais dâArlanges, wo er die Marquise in heller Wut darüber antraf, daà ein Lieferant sie wegen unbezahlter Rechnungen vor den Richter gebracht und Recht bekommen hatte.
»Begreifen Sie so etwas?« schrie sie. »Den schäbigen Burschen hat er angehört, und mich hat er hinausgeworfen, als ich ihm meine guten Gründe darlegen wollte.« In Rage zerschmetterte sie eine wertvolle Vase an der Wand. »Sie, Daburon, Sie müssen alle Ihre Verbindungen spielen lassen, damit dieser lausige Lieferant und der Flegel von einem Richter eins auf die Pfoten bekommen, damit sie ein für allemal lernen, wie man sich einer Marquise dâArlanges gegenüber benimmt!«
Daburon, der um seiner Absichten willen der Marquise zustimmte, zugleich aber davon überzeugt war, daà der Lieferant und der Richter im Recht waren, versuchte, die Alte mit einem Trick von ihrem hohen Roà herunterzubringen, indem er vorschlug, den Richter damit zu strafen, daà sie die Rechnung einfach bezahlte, da es sich doch schlieÃlich nur um einen Betrag von siebenundachtzig Francs handelte.
Doch damit hatte er in ein Wespennest gestochen.
»Und das ist kein Geld?« keifte sie. »Ich kann keinen Sou entbehren. Das biÃchen, das ich noch besitze, gehört meiner Enkelin, an der ich Mutter-Stelle vertrete. Es ist für ihre Aussteuer bestimmt. Heutzutage gibt doch keiner mehr etwas auf Schönheit. Allein das Geld zählt.«
Unverhofft sah sich Daburon in einer Situation, die seinen Absichten entgegenkam. Mit schwerer Zunge sagte er: »Madame, ich kenne einen Mann, der sich glücklich schätzen würde. Mademoiselle Claire auch ohne Mitgift zur Frau nehmen zu dürfen. Er würde sie auf Händen tragen und Ihnen, Madame, alle Sorgen um ihren Unterhalt abnehmen.«
»Wer ist der Mann?« fragte die Marquise begierig.
»Er würde zudem Ihr Vermögen in vorteilhaften Rentenpapieren anlegen.«
»Her mit dem Mann! Warum kenne ich ihn noch nicht?« Daburon nahm allen Mut zusammen und stammelte: »Ich bin dieser Mann. Madame.«
Da lachte die Alte, bis ihr die Tränen kamen. Als sie sich beruhigt hatte, sagte sie: »Sie müssen schon entschuldigen, aber das ist wirklich zu komisch.« Dann wurde sie ganz ernst, fragte: »Sie sind also sehr reich?«, und als Daburon das bejahte, erklärte sie: »Lebte mein Sohn, Claires Vater, noch, er hätte Sie hinausgeworfen. Und auch ich, obwohl alt und arm, kann dem Mädchen nicht zu solch einer Mesalliance raten. Doch verspreche ich Ihnen eines: Ich werde mich nicht gegen Sie stellen, wenn Claire Sie heiraten will. Sprechen Sie also mit ihr selbst.«
Jetzt, da er zu nächtlicher Stunde im Sessel saÃ, durchlebte er noch einmal das Glücksgefühl, das ihn an jenem Nachmittag belebt hatte. Er erinnerte sich, wie er in der folgenden Zeit mit Erfolg beharrlich versucht hatte, seine Schüchternheit zu überwinden und Claire die Scheu vor ihm zu nehmen. Allmählich gewann er ihr Vertrauen, sie bat ihn auch gelegentlich um die Erfüllung kleiner Aufträge, und zweimal nahm sie sogar einen Blumenstrauà von ihm an, bedeutete ihm aber zugleich, dergleichen nicht noch einmal zu tun. Als dann der Sommer kam und sie am Abend oft im Garten spazierten, vertraute sie ihm manchmal, wie einem Bruder, kleine Geheimnisse an. Doch entging ihm nicht, daà sie zu dieser Zeit von wechselnden Stimmungen heimgesucht wurde, und als sie einmal sehr traurig war, wagte er, sie nach dem Grund zu fragen.
»Vielleicht muà ich Ihnen eines Tages etwas anvertrauen, von dem selbst meine GroÃmutter nichts weië, sagte sie. »Heute kann ich es noch nicht.«
Wie gern hätte auch Daburon ihr das anvertraut, was ihm auf der Seele lag. Aber er sagte sich wie immer: Morgen spreche ich mit ihr.
Ãber diesem »morgen« gingen zwei Monate dahin, bis sie an einem Augustabend im Garten schweigend beieinandersaÃen. Da sammelte er Mut, ergriff ihre Hand und sagte »Claire!« mit zitternden Lippen.
Sie aber sah ihn nur überrascht an.
»Verstehen Sie mich doch«, bat er. »Ich liebe Sie!« Entsetzt rià sie ihre Hand aus der seinen und rief: »Sie lieben mich!« Dann brach sie in Tränen aus.
Daburon
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