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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Èmile Gabroriau
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niemand anders sein als der Mann, für den alles auf dem Spiel steht: der junge Graf Albert de Commarin!«
    Diese Worte kostete Tabaret wie ein Schauspieler aus und erwartete nun mit Spannung ihre Wirkung auf den Untersuchungsrichter.
    Und die war in der Tat überwältigend. Daburon saß reglos da, als habe er einen Schlag empfangen. Seine Augen waren unnatürlich weit aufgerissen, und mehrmals wiederholte er, ohne es zu wollen, den Namen: »Albert de Commarin.«
    Â»So ist es«, bestätigte Tabaret, »Albert de Commarin, der Mann, von dem man so etwas nie erwartet hätte.« Doch dann bemerkte er, wie bleich der Untersuchungsrichter geworden war. Er trat einen Schritt näher und fragte: »Ist Ihnen nicht gut?«
    Â»Ich fühle mich wohl«, sagte Daburon gedankenlos. Er blickte den alten Mann aus leeren Augen an. »Lassen Sie mich bitte für einen Moment allein. Erwarten Sie mich in meinem Arbeitszimmer, dort können wir uns weiter besprechen.«
    Als Tabaret das Schlafzimmer verlassen hatte, ließ Daburon sich in einen Sessel fallen. Sein Gesicht wirkte eingefallen, alle Sicherheit und Beherrschung war aus ihm gewichen. Commarin, dieser Name rief in ihm Erinnerungen wach, die er gern für immer begraben gehabt hätte, Erinnerungen an ein Erlebnis, das sein Leben zutiefst erschüttert hatte. Nun war ihm, als läge alles, was sich für ihn mit dem Namen Commarin verband, nicht zwei Jahre zurück, sondern sei erst vor wenigen Tagen geschehen.
    Der Richter Pierre Marie Daburon entstammte einer alten, angesehenen Familie von Poitou, und wenn seine Ahnen ihm auch keinen adligen Namen hinterlassen hatten, so bürgte doch der ansehnliche Grundbesitz und das aristokratische Blut seiner Mutter dafür, daß er Zugang zu den besten Salons erhielt, als er seine Stellung in Paris antrat. Obwohl ihm die Talente, gesellschaftlichen Erfolg zu erlangen, abgingen, obwohl er reserviert und schüchtern war, sah man ihn doch oft auf Gesellschaften, da er es zu seiner Maxime gemacht hatte, als Jurist das Leben durch das Leben selbst und nicht durch das Studium von Pandekten kennenzulernen.
    Doch plötzlich – es war zu Beginn des Winters 1860 auf 1861 – wurde Daburon nicht mehr auf Soireen gesehen. Freunde entdeckten, daß er fortan seine Abende im Palais von Madame d’Arlanges zubrachte, einer der vorgestrigen Witwen, die noch ganz in den Begriffen und Auffassungen des Ancien régime lebten und den Wandel der Zeiten nicht registriert zu haben schienen. Ein Bekannter, der ihn vorgestellt, hatte von ihr als von einer »komischen alten Nudel« und einem »Gespenst aus längst vergangenen Zeiten« gesprochen. Daburon fand Gefallen an der vermotteten alten Marquise, die ihn auch gnädigst in ihrem Salon willkommen zu heißen geruhte und ihn einlud, sooft er wolle, wiederzukommen.
    Doch sein Interesse an der alten Dame wurde bald von ihrer Enkelin Claire abgelenkt, einer blutjungen Schönheit, die in seltsamem Kontrast zu der Verstaubtheit des Palais stand. Die Marquise, die an dem charakterfesten jungen Mann Gefallen gefunden hatte, bedauerte ein ums andere Mal, daß er keinen adligen Namen vorweisen und daß so eine Verbindung zwischen ihm und ihrer Enkelin nichts als eine Mesalliance sein konnte. Eines Tages sprach sie ihren Unmut offen ihm gegenüber aus: »Wie dumm von ihren Ahnen, daß sie nie daran gedacht haben, ihren Nachkommen Titel und Wappen zu vermachen!«
    Â»Sie wollten als Bürger unter Bürgern leben«, hatte Daburon darauf geantwortet und im übrigen seine Bemühungen fortgesetzt, die immer offensichtlicher der siebzehnjährigen Claire galten, die ihn mit ihrer Anmut und Schönheit verzauberte. Dem Geschwätz der Alten hörte er nur zerstreut zu, er verlor beim Spiel größere Summen, weil er nur Augen für Claire hatte, und ließ es gleichgültig geschehen, daß die Marquise das Geld einstrich. Dabei war seine Schüchternheit und die Zurückhaltung des Mädchens so groß, daß sie kaum je ein Wort miteinander wechselten. So ging der Winter dahin, und sooft er sich auch vorgenommen hatte, um ihre Hand anzuhalten, er war das Wagnis, sich eine Abfuhr von seiten der adelsbesessenen Großmutter einzuhandeln, nie eingegangen, schon aus Furcht davor, daß ihm das Haus in Zukunft verschlossen bleiben würde. Dabei bangte er Tag für Tag darum, daß ein anderer Mann an

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