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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Èmile Gabroriau
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wollte, wie spät es war, hatte man ihm abgenommen, so wie sämtliche Taschen geleert worden waren. Man behandelt mich wie einen Verbrecher, der schon überführt ist, dachte er voller Entsetzen.
    Die Wärter, die ihn zum Verhör abholten, fanden ihn auf der Pritsche sitzend, den Kopf in den Händen verborgen. Als sie eintraten, stand er auf und ging ihnen wortlos entgegen. Heiser bat er sie um etwas zu trinken, da seine Kehle ausgetrocknet sei, und nachdem er ein Glas mit Wasser zweimal geleert hatte, erklärte er sich bereit, den Wärtern zu folgen.
    Daburon ging währenddessen niedergeschlagen und unruhig in seinem Büro auf und ab. Der Untersuchungsrichter war schon wieder von Zweifeln geplagt, ob er diesen Fall hätte übernehmen dürfen. Ich hasse ihn, sagte er sich, und ich, der ich einmal beinahe sein Mörder geworden wäre, muß jetzt über ihn richten! Wenn der Mordplan genauso strafbar wäre wie der Mord, dann säße ich schon längst hinter Gittern. Wie kann ich es unter diesen Umständen wagen, Albert de Commarin als Richter gegenüberzutreten?
    Schritte auf dem Korridor ließen ihn zusammenfahren. Mit einem Satz sprang er hinter den Schreibtisch und ließ sich auf dem Stuhl nieder. Über seine Akten gebeugt, erwartete er Alberts Eintritt. Wäre Constant nicht so stumpfsinnig gewesen wie alle Protokollanten, ihm hätte auffallen müssen, daß im Gesicht seines Vorgesetzten mehr Angst stand als in dem des Angeschuldigten, der erhobenen Hauptes das Büro betrat. Wenn auch dessen Züge bleich und von Strapazen gezeichnet waren, so leuchteten doch seine Augen. Daburon nutzte die üblichen Formalitäten vor dem Verhör dazu, sich zu sammeln. Es gelang ihm, sich auf den Plan, den er sich am Morgen zurechtgelegt hatte, zu konzentrieren und so einige Sicherheit wiederzugewinnen.
    Â»Ich nehme an, Monsieur«, eröffnete er das Verhör gefaßt und höflich, »Sie wissen, daß Sie Ihren gegenwärtigen Namen zu Unrecht tragen?«
    Â»Ich weiß es. Ich bin der illegitime Sohn des Grafen Rheteau de Commarin.«
    Â»Wie war Ihnen zumute, als Sie das erfuhren?«
    Â»Ich will es nicht leugnen: Ich habe es als einen Schlag empfunden. Sie wissen ja selbst, daß ein Sturz um so schmerzhafter ist, je höher man steht. Dennoch habe ich auch nicht den geringsten Versuch gemacht, Monsieur Gerdys Rechte anzuzweifeln. Von vornherein war ich entschlossen, so wie ich es jetzt noch bin, ihm seine rechtmäßige Stellung einzuräumen. In diesem Sinn habe ich auch mit meinem Vater, dem Grafen, gesprochen.«
    Â»Sie hatten aber doch die Möglichkeit, einen Prozeß gegen Monsieur Gerdy anzustrengen. Den Grafen und Ihre Mutter, Madame Gerdy, hätten Sie dabei zweifellos auf Ihrer Seite gehabt. Noël Gerdy wäre beim Geltendmachen seiner Ansprüche nur auf die Aussage einer einzigen Zeugin angewiesen gewesen, auf die der Witwe Lerouge.«
    Â»Ich weiß.«
    Â»Nun«, Daburon ließ eine gewichtige Pause folgen, ehe er schnell sagte: »Das Gericht ist zu dem begründeten Verdacht gelangt, daß Sie Madame Lerouge ermordet haben, um Monsieur Gerdys einzige Zeugin aus der Welt zu schaffen.«
    Wenn Daburon angenommen hatte, diese schwere Beschuldigung würde Albert zusammenbrechen lassen, so sah er sich getäuscht. Kein Muskel zuckte in Alberts Gesicht, aufrecht saß er vor dem Untersuchungsrichter, und ruhig antwortete er: »Bei allem, was mir heilig ist, schwöre ich, daß ich mit diesem Verbrechen nichts zu tun habe. Als Gefangener bin ich hilflos, Ihnen und der Justizmaschinerie ausgeliefert, und ich kann auf nichts meine Hoffnung setzen als auf Ihren Gerechtigkeitssinn. Helfen Sie mir, meine Unschuld zu beweisen.«
    Was für ein Schauspieler! Das war das einzige, was Daburon durch den Kopf ging. Um seinen Unmut zu verbergen, blätterte er in den Akten und sagte dann plötzlich: »Als man Sie verhaftete, riefen Sie: ›Ich bin verloren!‹ Was wollten Sie damit andeuten?«
    Â»Ich erinnere mich an diese Worte. Ich war einfach verzweifelt, als ich hörte, wessen ich angeschuldigt wurde. Blitzartig kam mir die Hoffnungslosigkeit meiner Situation zum Bewußtsein. Ich war mir sofort über alles klar, was für die schwere Beschuldigung sprach, auch darüber, wie gering meine Chance war, mich mit Erfolg zu verteidigen. Ich hörte es förmlich in mir sprechen:

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