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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Èmile Gabroriau
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hat! Die Raffinesse, mit der dieser junge Mann zu Werk gegangen ist, übersteigt alles Vorstellbare. Wenn Tabaret nicht so gute Arbeit geleistet hätte, wir säßen jetzt völlig auf dem trockenen. Mit welchem Geschick dieser Albert die Szene mit seinem Vater eingefädelt hat! Jeden Verdacht, der auf ihn fallen könnte, glaubte er damit abgebogen zu haben. Jeder einzelne Satz, der ihm über die Lippen gekommen ist, war in dieser Absicht gesprochen. Nichts hat er außer acht gelassen: den Edelmut nicht und nicht die Erwähnung der großen Liebe seiner Braut. Wahrscheinlich hatte er Claire auch ins Bild gesetzt, das arme Mädchen. Ob ich wohl noch einmal mit ihr rede? Sie vor diesem Kerl warne? Sie kann doch unmöglich seine wahre Natur durchschauen. Dies ganze Palaver mit seinem Vater diente doch zu nichts anderem, als um Zeit zu gewinnen und den Grafen günstig zu stimmen. Sein edelmütiger Verzicht, den der Alte ihm als Verdienst angerechnet hat, war nur eine Finte, die den Grafen nachdenklich und schließlich nachgiebig machen sollte. Wenn Noël seine Rechte hätte geltend machen wollen, wäre er wahrscheinlich auf einen Grafen gestoßen, der alles ableugnete und ihm die Tür gewiesen haben würde.
    Aber nicht nur Daburon war es, der jetzt diese Fährte verfolgte. Auch dem Grafen erschien bei der Wiedergabe seiner Unterhaltung Alberts Verzicht und seine Berufung auf die große Liebe in einem anderen Licht. Wie der Richter kam er zu der Schlußfolgerung, daß Albert alles nur in Szene gesetzt hatte, um ihn, den Vater, auf eine geschickte Art und Weise für sich einzunehmen.
    Â»Ich bin Ihnen sehr verbunden, Monsieur«, sagte Daburon schließlich. »Natürlich kann ich noch nichts Endgültiges sagen, aber ich hege den begründeten Verdacht, daß Albert de Commarin vor Ihnen eine genau einstudierte Rolle gespielt hat.«
    Â»Wenn er das getan hat«, sagte der Graf leise, »dann ist es ihm voll und ganz gelungen, mich zu täuschen.« In diesem Augenblick trat Noël ins Zimmer, eine lederne Mappe unterm Arm. Er machte vor dem alten Herrn eine Verbeugung.
    Â»Herr Richter«, sagte Noël, »hier sind die Briefe. Leider muß ich mich sofort wieder verabschieden. Das Befinden von Madame Gerdy verschlechtert sich zusehends.«
    Der Graf hatte die letzten, etwas lauter gesprochenen Worte verstanden, und nur mit Mühe gelang es ihm, eine Frage zu unterdrücken.
    Â»Warten Sie noch einen Moment«, sagte Daburon und stand auf. Er nahm den jungen Anwalt beim Arm und führte ihn dem Grafen zu. »Monsieur de Commarin, ich habe die Ehre, Ihnen Monsieur Noël Gerdy vorzustellen«, sagte er ziemlich feierlich.
    Kein Muskel zuckte im Gesicht des Grafen, als er aufstand und Noël ansah. Er bot ein Bild vollkommener Ruhe. Noël hingegen fühlte sich wie von einem Schwindel ergriffen. Seine Hände wurden feucht, und er suchte Halt an einer Stuhllehne.
    Vater und Sohn standen nun einander gegenüber, musterten sich aufmerksam, und jeder war offensichtlich bemüht, in den Gedanken des anderen zu lesen. Das aber war ganz und gar nicht nach Daburons Geschmack. Er hatte sich von dem Auftritt mehr versprochen, vielleicht sogar, daß Vater und Sohn einander in die Arme sinken würden. Und an ihm, Daburon, wäre es dann gewesen, seinen Segen zu dem wiedergegründeten Bund zu geben. Nun aber, angesichts der Kühle und der Verlegenheit, hielt es der Untersuchungsrichter für angebracht, vermittelnd einzugreifen.
    Â»Monsieur«, sagte er zu dem Grafen mit leisem Vorwurf in der Stimme, »Noël Gerdy ist Ihr ehelicher Sohn!« Doch der Graf antwortete nicht.
    Jetzt fühlte Noël sich gedrängt, ein Gespräch zustande zu bringen, und er begann: »Monsieur, mein einziger Wunsch ist ...«
    Â»Nennen Sie mich ruhig Papa«, unterbrach ihn Rheteau de Commarin. Doch sein Ton verriet nichts von innerer Bewegung, und väterliche Zuneigung schwang nicht in ihm. Er wandte sich dem Richter zu und sagte: »Werde ich hier noch gebraucht?«
    Â»Sie brauchen nur noch das Protokoll Ihrer Aussage zu unterzeichnen, wenn Sie den Text für richtig erachten.« Daraufhin las Constant das Protokoll leiernd herunter und fast ohne Luft zu holen. Der Graf hörte gleichmütig zu, während Noël gespannt lauschte, besonders auf die Passagen, die für ihn wichtig waren.
    Der Graf nahm die dargebotene Feder,

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