Der Fall Lerouge
genommen hatte, behagte.
»Sie haben wohl doch ein schlechtes Gedächtnis. Darf ich Ihrer Erinnerung auf die Beine helfen? An diesem Abend besuchten Sie zwei Freunde, und Sie erklärten ihnen, Sie hätten eine wichtige Verabredung.«
»Ich wollte sie nur loswerden.«
»Und weshalb?«
»Versetzen Sie sich doch bitte einmal in meine Lage, Monsieur. Zwar hatte ich mich mit meinem Los abgefunden, doch stand mir nicht der Sinn nach belanglosen Vergnügungen. Ich wollte allein sein.«
»Sie muÃten allein sein, um Ihren Plan auszuführen. Sie muÃten allein nach Jonchère fahren. Zudem hatten Sie im Lauf des Tags einmal so etwas Ãhnliches gesagt wie âºSie kann nicht von mir lassenâ¹. Wer war damit gemeint?«
»Jemand, der mir auf einem Brief geantwortet hatte. Als ich das sagte, hatte ich den Antwortbrief in der Hand.«
»War der Brief von einer Frau?«
»Ja.«
»Und was haben Sie mit dem Brief gemacht?«
»Ich habe ihn ins Feuer geworfen.«
»Glaubten Sie, der Brief hätte Sie, wenn er einem Dritten in die Hand gefallen wäre, kompromittieren können?«
»Nein. Es ging in ihm nur um ganz Privates.« Der Untersuchungsrichter war sich fast sicher, daà dieser Brief von der Hand der Mademoiselle dâArlanges geschrieben war. Dennoch schwankte er, ob er nach dem Absender fragen sollte. Denn der Name der Frau, die er einmal geliebt hatte, wollte ihm nicht leicht über die Zunge.
Nach einer Pause, während der er sein Gesicht hinter einem Aktenstück verbarg, auf daà Albert seine Erregung nicht bemerkte, fragte er: »Wer ist der Absender dieses Briefes?«
»Ich möchte den Namen nicht nennen.«
»Bedenken Sie, Monsieur«, sagte Daburon, »daà Sie sich in einer äuÃerst prekären Lage befinden. Durch Schweigen verbessern Sie Ihre Situation überhaupt nicht. AuÃerdem sind Sie verpflichtet, über alles auszusagen.«
»Nicht über das, was Unbeteiligte angeht«, antwortete Albert angriffslustig.
Die Art, wie das Verhör geführt wurde, lieà ihm keine Zeit zum Atemholen. Und das verdroà ihn und machte ihn gereizt.
Erstaunt ob so viel Widersetzlichkeit, blickte Daburon zu dem Angeklagten hinüber. Was war in diesen jungen Mann gefahren? Tabaret hatte doch prophezeit, daà Albert mit einem hieb- und stichfesten Alibi aufwarten würde. Warum tat er nun nichts dergleichen? Wartete er etwa auf eine noch bessere Gelegenheit? Oder hatte er noch einen anderen Trumpf im Ãrmel?
Vorsicht, dachte Daburon, noch habe ich ihn nicht in die Ecke getrieben.
»Was taten Sie nach dem Essen?« setzte Daburon das Verhör fort.
»Ich bin spazierengegangen.«
»Genauer, bitte. Sie haben das Haus nicht gleich verlassen. Nachdem Sie die Flasche geleert hatten, rauchten Sie. Ich weiÃ, daà es nicht zu Ihren Gewohnheiten gehört, im Speisezimmer zu rauchen. Was rauchen Sie übrigens?«
»Zigarillos von der Marke âºTrabucoâ¹.«
»Rauchen Sie aus einer Spitze?«
»Ja.«
»Wie spät war es, als Sie das Haus verlieÃen?«
»Ungefähr acht Uhr.«
»Nahmen Sie einen Schirm mit?«
»Es sah nach Regen aus.«
»Und wohin sind Sie gegangen?«
»Ich hatte kein Ziel, spazierte durch die StraÃen.«
»Kein Ziel? Den ganzen Abend kein Ziel?«
»So ist es.«
»Wenn ich Ihnen glauben soll, müssen Sie mir aber Ihren Spaziergang etwas genauer beschreiben.«
»Das ist sehr schwer. Ich bin eben nur spazierengegangen, wollte mich von meiner Niedergeschlagenheit befreien. Verstehen Sie das? Ich streifte nur aufs ungefähre durch die StraÃen.«
»Und das soll ich Ihnen glauben?« Natürlich wuÃte Daburon, daà ein solcher Spaziergang ohne Ziel möglich war. Er erinnerte sich einer Situation, in der er selbst die ganze Nacht durch Paris gegangen war, ohne Ziel. Hätte man ihn am nächsten Morgen gefragt, wo er gewesen sei, er hätte nichts anderes antworten können als: Ich weià es nicht.
Aber er verdrängte dieses Erlebnis, gab sich ganz dem kriminalistischen Eifer hin, einem Verbrechen auf die Spur zu kommen. So setzte er also die Vernehmung im bisherigen Stil fort.
»Sie haben niemanden getroffen«, fragte er, »der bezeugen könnte, Sie gesehen zu haben? Sie haben mit keinem gesprochen? Sie sind nirgends eingekehrt, in kein Café, in keinen Club?«
»So
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