Der Fall Lerouge
zutrifft, ist die ganze Theorie über den Haufen geworfen. Nehmen wir nun unseren Fall. Ich untersuchte den vorliegenden Tatbestand, und ich bin durch meine Untersuchungen auf eine bestimmte Vorstellung von dem Täter gekommen. Er war in meiner Vorstellung ein zu allem entschlossener, äuÃerst vorsichtiger, kluger und erfahrener Mann. Glauben Sie, daà ein solcher Verbrecher etwas auÃer acht lassen würde, was jedem Anfänger selbstverständlich ist? Dieser Mann hat Spuren hinterlassen, die so gering sind, daà selbst der erfahrene Gevrol sie nicht entdeckt hat. Und da halten Sie es für möglich, daà er alles aufs Spiel setzt, indem er nicht zu sagen weiÃ, wie und wo er die Nacht des Verbrechens zugebracht hat? Unmöglich! Der Mörder von Jonchère hat ein Alibi, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Albert de Commarin hat keins â mithin ist er nicht der Mörder.
Daburon musterte Tabaret wie einen, an dessen Verstand man zweifeln muÃ.
»Sie haben sich völlig verrannt, sind von einer fixen Idee besessen«, sagte er. »An Ihnen kann man wieder einmal studieren, wohin zuviel Spitzfindigkeit führt. Sie dürfen bei anderen nicht denselben Scharfsinn voraussetzen, von dem Sie geplagt werden. Der junge Graf war unvorsichtig, weil er ganz simpel dachte, sein Rang würde ihn vor Verdacht schützen.«
»Sie irren, Monsieur, glauben Sie mir das. Der Verbrecher, den ich mir zusammengesetzt habe und von dem ich glaube, daà er der wirkliche ist, und den wir finden müssen â der Verbrecher hat an alles gedacht. Albert de Commarin hat sich nicht einmal verteidigt. Er ist nur fast zusammengebrochen, als ihm klar wurde, daà die verhängnisvollen Ãbereinstimmungen ihm den Tod bringen könnten. Und bedenken Sie auch seine Starrheit, die ich mir nicht erklären kann.«
»Ich bin seiner Schuld so sicher, als hätte er schon gestanden. Die Indizien überführen ihn.«
»Indizien! Die sind oft bei der Hand, auch wenn ein Unschuldiger verurteilt wird.«
»Wer, wenn nicht Albert, hatte ein Interesse am Tod der Alten? Sein Vater vielleicht?«
»Nein. Der Mörder war ein junger Mann.«
Daburon hatte inzwischen seine Sachen zusammengepackt und stand schon in Hut und Mantel neben der Tür.
»Adieu, Vater Tabaret.« sagte er leichthin. »Kommen Sie wieder, wenn Sie sich abgekühlt haben. Morgen vielleicht. Dann können wir noch einmal alles überdenken. Heute bin ich redlich müde.« Und zu dem Protokollanten gewendet, setzte er hinzu: »Sagen Sie mir Bescheid, Constant, wenn Commarin mich sprechen möchte.«
Aber Vater Tabaret lieà ihn nicht gehen. Er hielt Daburon am Ãrmel fest und sagte fast flehentlich: »Sie müssen mich anhören. Albert de Commarin ist so unschuldig wie Sie und ich. Wir müssen den Mörder finden, Monsieur. Lassen Sie Ihr Gewissen sprechen! Legen Sie nicht den Grund für einen Justizirrtum!« Daburon aber machte sich von Tabaret los und eilte aus dem Zimmer. Hilflos sah Vater Tabaret zu Constant hinüber, blickte in dessen leidenschaftsloses Gesicht und ging dann auch hinaus. Der Korridor lag dunkel und still vor ihm. In Verzweiflung fuhr sich Tabaret mit beiden Händen in die Haare.
»Albert ist unschuldig«, sagte er laut vor sich hin, dem Schluchzen nah, »und ich habe ihn ins Gefängnis gebracht. Was, wenn er sich umbringt? Ich darf ihn nicht im Stich lassen, auch wenn Daburon sich noch so uneinsichtig zeigt. Ich muà den Täter finden!«
* * *
N oël Gerdy begleitete den Grafen de Commarin zu seinem Wagen, der vor dem Justizpalast auf ihn wartete. Fast unterwürfig verbeugte er sich vor dem Alten und fragte: »Wann darf ich mir die Ehre geben, Ihnen mit meinem Besuch aufzuwarten?«
»Am besten ist es, du kommst jetzt mit mir«, sagte der Graf.
Noël wollte sich mit Geschäften entschuldigen, aber Rheteau de Commarin, ans Befehlen gewohnt, wiederholte in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete: »Komm jetzt mit mir!«
Noël gehorchte.
»Deinen Vater hast du nun gefunden«, sagte der Graf, als Noël hinter ihm die Kutsche bestieg, »aber deine Unabhängigkeit hast du verloren.« Als Noël sich bescheiden auf den Platz ihm gegenüber setzen wollte, fügte er ein wenig freundlicher hinzu: »Setz dich neben mich. SchlieÃlich bist du mein Sohn.«
Die Verwirrung, die Noël nach
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