Der Fall Lerouge
sobald sie von der Polizei freigegeben werden. Das Haus ist geräumig. Im anderen Flügel kannst du logieren, mit eigenem Eingang. In zwei Tagen stehen dir Diener, Pferde, Wagen und das nötige Meublement zur Verfügung. Benimm dich so, als hättest du schon immer hier gelebt. Um das Aufsehen, das der Wechsel hervorrufen wird, kümmere ich mich nicht. Ich bin keiner von den Vätern, die ihre SpröÃlinge in einem solchen Fall auf einige Monate an einen ausländischen Hof schicken. Ich möchte nur, daà die Entrüstung sich bald legt und das Gerede aufhört. Ich werde gleich Tischler bestellen, die dir die Wohnung einrichten. Zuerst aber muà ich dich mit dem Personal bekannt machen.«
Noël kam sich vor wie einer, der in die Märchenwelt des Orients versetzt worden ist, wie Aladin mit seiner Lampe. Es fiel ihm schwer, seine übermächtige Freude nicht zu verraten, da doch seine kühnsten Träume übertroffen worden waren. Unter Aufbietung all seiner Energie gelang es ihm jedoch, eine unbeteiligte Miene aufzusetzen und den Alten, der schon die Hand nach dem Glockenzug ausgestreckt hatte, um die Diener herbeizurufen, folgendermaÃen anzureden: »Mein Vater, darf ich mir in aller Bescheidenheit einige Worte erlauben? Ihre Güte rührt mich mehr, als ich es ausdrücken kann. Doch bitte ich Sie, mich nicht sofort mit ihr zu überschütten. Es ist richtig, nicht allzuviel auf die öffentliche Meinung zu geben; doch sollte man sich hüten, sie zu reizen, zumal ich muà mich davor hüten. Wenn ich mich von heute auf morgen bei Ihnen häuslich einrichte, würde ich wie ein Triumphator dastehen, dem es gleichgültig ist, über den Unterlegenen hinwegzugehen und mich in ein Bett zu legen, das noch warm ist vom Körper des anderen. Man wird mich sofort mit Albert vergleichen, und das kann nicht zu meinen Gunsten ausfallen, weil mein Triumph, der ja in Wirklichkeit nichts ist als der Triumph der Gerechtigkeit, mit dem Unglück Ihrer Familie zusammenfällt.«
Wieder war der Graf von Noëls Rede- und Denkweise beeindruckt, jedenfalls hörte er ohne erkennbare MiÃbilligung zu. Das ermutigte Noël, fortzufahren: »Es wäre also gut, wenn Sie mir gestatten, vorläufig nichts an meiner Lebensweise zu ändern. So kommt kein Klatsch auf, und die öffentliche Meinung hat Zeit, sich an die neuen Tatsachen zu gewöhnen. Ich werde nicht als Eindringling dastehen, sondern Gelegenheit haben, peu à peu in denselben guten Ruf zu kommen, in dem Albert stand. Ein solches Vorgehen wäre auch deshalb für mich günstig, weil ich mich so allmählich an die Tatsache gewöhnen könnte, Erbe eines groÃen Vermögens zu sein.«
»Vielleicht hat er recht«, murmelte der Graf vor sich hin. Noël überhörte diese Bemerkung nicht und spürte, daà er drauf und dran war, Sympathie oder doch wenigstens freundliche Duldung von seiten des alten Mannes zu erringen. So wuchs sein Zutrauen zu sich und seiner Redegabe.
»AuÃerdem, Monsieur«, fuhr er fort, »ist es nötig, verschiedene Ãnderungen in meinem Leben vorzunehmen, ehe ich in Ihren Kreis eintrete, der dann auch der meine sein soll. Ich weià nicht, ob Ihnen bekannt ist, daà ich eine ausgedehnte Anwaltspraxis mein eigen nenne. Hier gilt es, Geschäfte zu liquidieren, und das zu einer Zeit, in der ich beginne, die Früchte zehnjähriger harter Arbeit zu ernten. Mein Name ist dabei, einen guten Klang zu gewinnen. Und dann muà ich Ihnen in aller Offenheit sagen, daà manche meiner Ansichten schlecht zu denen passen, die in diesem Haus herrschen. Es ist mir nicht möglich, sie von einem Tag auf den anderen zu ändern.«
»Ich verstehe!« rief der Graf mit Spott in der Stimme. »Du bist einer von den Liberalen, ein Freigeist wie Albert.«
»Ich bin nur ein kluger Mann, der es zu etwas bringen will. Alle Parteien streben zur Macht. Sie bedienen sich dabei nur unterschiedlicher Methoden. Sie können darauf vertrauen, daà ich hinfort auf meinen Namen Rücksicht nehmen und so Denken und Handeln werde, wie es einem Commarin zukommt.«
»Das hoffe ich«, sagte der Graf, »und ich erwarte, daà ich nie Anlaà haben werde, Albert zu vermissen!«
»In dem Punkt bin ich ganz zuversichtlich. Apropos Albert: Sollten wir uns nicht einmal über diesen Unglücklichen unterhalten?«
»Was hat das jetzt
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