Der Fall Lerouge
Aktivitäten unterrichten zu können. Kann sein, daà ich Albert mitbringe.«
Noch einmal sank er vor der Toten auf die Knie, umarmte sie zum letztenmal und verlieà ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Der Graf, Claire und der Arzt folgten ihm bald, während der Oberst aufs Bürgermeisteramt ging, um den Tod seiner Schwester registrieren zu lassen.
Zurück blieben nur der Priester und die Nonne, die am Bett der Toten noch immer beteten.
* * *
N achdenklich von dem, was Claire dâArlanges ihm enthüllt hatte, begegnete Daburon auf der Treppe des Justizpalasts Tabaret.
Er freute sich, den Alten zu sehen.
»Vater Tabaret!« rief er.
Der jedoch war sehr aufgeregt und gar nicht gesonnen, sich in ein längeres Gespräch verwickeln zu lassen. Er grüÃte Daburon, bat aber dann sofort um Entschuldigung für seine Eile. Er werde zu Hause schon erwartet.
»Darf ich vielleicht dennoch ...«
»Er ist unschuldig«, unterbrach ihn Vater Tabaret. »Und ich habe Beweise für seine Unschuld. Gehen Sie nur in Ihr Büro. Der Mann mit den Ohrringen ist in Paris. Ich habe diesem Gevrol wohl doch ein biÃchen Unrecht getan.«
Mit diesen Worten eilte er an Daburon vorüber.
Auf dem Korridor vor seinem Büro sah Daburon Albert zwischen zwei Wärtern auf der Bank sitzen.
»Ich lasse Sie gleich hereinrufen«, sagte er.
Im Büro traf er Constant, der ein Gespräch mit einem Beamten führte.
»Nun, Constant«, fragte der Untersuchungsrichter, »haben Sie meine Briefe erhalten?«
»Sehr wohl, Monsieur, und Ihre Anordnungen sind sofort befolgt worden. DrauÃen wartet der Gefangene, und Monsieur Martin ist gerade von seiner Recherche zurückgekommen.«
»Danke«, sagte Daburon. Dann wandte er sich dem Kriminalbeamten zu.
»Nun, Martin, was hat denn Ihre Untersuchung ergeben?«
»Jemand ist über die Mauer geklettert.«
»Wann?«
»Vielleicht vor fünf oder sechs Tagen.«
»Und das ist sicher?«
»Wie das Amen in der Kirche.«
»Sind die Spuren deutlich zu sehen?«
»So deutlich wie die Nase in Ihrem Gesicht, wenn ich mir den Vergleich erlauben darf. Ich nehme an, es handelt sich um einen Einbrecher, der über die Mauer kletterte, ehe Regen einsetzte, und der sich auf demselben Weg empfahl, als er vorüber war. Dies ist leicht festzustellen. Man braucht nur die beim Aufstieg und die beim Abstieg auf der StraÃenseite der Mauer hinterlassenen Spuren, die sich deutlich voneinander unterscheiden, zu betrachten. Nehmen wir nur die verschiedenen Abdrücke von einem Absatz. Einmal sind sie in trockener, einmal in feuchter Erde hinter- lassen worden. Dann konnte ich feststellen, daà der Bursche beim Einstieg Hände und FüÃe benutzen muÃte, um über die Mauer zu kommen. Beim Verlassen des Grundstücks benutzte er eine Leiter, die er zurückstieÃ, als er auf der Mauerkrone saÃ. Man sieht noch deutlich die Markierung an der Stelle, wo die Leiter an die Mauer gelehnt wurde, und unten im Garten die tiefen, durch das Gewicht des Mannes verursachten Eindrücke im Erdreich.«
»Ist das alles?«
»Nein, Monsieur. Die Mauer ist oben mit Scherben bestückt. Drei von ihnen sind abgebrochen. Dazu habe ich noch diesseits der Mauer ein paar abgebrochene Akazienäste gefunden, die über die Mauer hinausreichten, und an einem dieser Ãste ein Stückchen graues Leder, das mir von einem Handschuh zu stammen scheint. Es war auf einen Dorn gespieÃt. Hier ist es.«
Aufgeregt nahm Daburon den winzigen Lederfetzen entgegen. Es gab keinen Zweifel: Er stammte von einem Handschuh.
»Hoffentlich haben Sie die Untersuchung ohne groÃes Aufsehen durchgeführt.«
»Versteht sich doch von selbst, Monsieur«, antwortete der Kriminalbeamte mit einem pfiffigen Lächeln. »Ich habe mich der Marquise gegenüber als Diener einer Familie aus der Nachbarschaft ausgegeben, deren Kanarienvogel entflogen sei. Sie hat mir erlaubt, in ihrem Garten nach dem Vieh zu suchen. Ich glaube nicht, daà sie eine Ahnung hatte, wer ich bin.«
»Das war ein ausgezeichneter Einfall, mein lieber Martin«, stellte Daburon zufrieden fest.
Strahlend entfernte sich der Kriminalist, und Daburon klingelte und befahl, Albert vorzuführen.
»Sind Sie heute bereit«, begann der Untersuchungsrichter, »mir eine Erklärung dafür zu geben, wie und wo Sie den Dienstagabend
Weitere Kostenlose Bücher