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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Èmile Gabroriau
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und schrie, während sie in die Kissen zurücksank: »Mörder!«
    Dann durchlief ein Zittern ihren Körper, Madame Gerdy war tot.
    Tödliche Stille herrschte im Raum, und jeder, der Zeuge des letzten Bekenntnisses geworden war, durchlebte Sekunden der tiefsten Erschütterung. Noch stand ihr Wort im Raum, jenes herausgeschriene »Mörder!«, und jeder, die Nonne ausgenommen, bezog es auf Albert, der, des Mordes angeschuldigt, im Gefängnis saß. Noël kniete an Madame Gerdys Bett nieder und bedeckte ihre Hände mit Küssen. Er schluchzte laut auf. »Sie ist tot!« wiederholte er immer wieder.
    Der Priester und die Nonne sprachen monoton die vorgeschriebenen Sterbegebete.
    Der Graf ließ sich in einen Stuhl sinken. Er war aschfahl, und seine Augen schienen aus den Höhlen treten zu wollen. Besorgt kümmerten sich Claire und der Arzt um ihn, öffneten ihm den Kragen, um ihm das Atmen zu erleichtern. Dann trugen der Arzt und der Oberst den Stuhl zum offenen Fenster.
    An der frischen Luft erholte sich Monsieur de Commarin allmählich wieder. Er richtete seine Blicke auf das Bett. Das also war das Ende. Und ihm war es nicht vergönnt gewesen, sie um Verzeihung zu bitten, ihr zu sagen, wie sehr er jetzt bereue, daß er sie kalt von sich gewiesen hatte, auf einen bloßen Verdacht hin und ohne sie anzuhören. Hatte er damit nicht auch sein eigenes Leben zerstört, das vom Verdacht, er sei nicht Alberts Vater, vergällt worden war?
    Und an der Leiche der einst geliebten Valerie dachte er auch an den Tod der Gräfin. Auch sie hatte ihn bis zum letzten Atemzug geliebt, und auch sie hatte von ihm nur Unverständnis erfahren. Jetzt wußte er, daß er beide Frauen getötet hatte! Doch seine Reue kam zu spät.
    Â»Sie hat damals schon alles kommen sehen«, murmelte er vor sich hin. »Aber ich habe nicht auf sie gehört.«
    Da fühlte er die Hand des Obersten auf seiner Schulter und hörte ihn mit schmerzzerrissener Stimme sagen: »Meine Schwester hatte eine große Seele. Sie hat Ihnen längst verziehen, hat Ihnen nie etwas nachgetragen. Ich möchte ihrem Beispiel folgen.«
    Â»Ihre Großmut beschämt mich, Monsieur. Ich bin ihrer nicht würdig.« Der Graf wagte nicht, die Augen zu Madame Gerdys Bruder zu erheben.
    Â»Sie ist in der Vorstellung gestorben«, sagte Claire, »daß ihr Sohn ein Mörder sei. Wir haben sie nicht mehr von ihrem Irrtum abbringen können.«
    Â»Ja, es ist unsere Pflicht, ihren Sohn aus dem Gefängnis zu befreien. Er muß seiner Mutter die letzte Ehre erweisen können.« Der Graf sprach nun wieder ganz klar. »Noël, du mußt uns dabei helfen.«
    Noël hatte das Gespräch zwischen Claire und dem Grafen mit angehört. Er erhob sich von den Knien, trat zu seinem Vater und sagte: »Ich habe es Ihnen schon versprochen, den unglücklichen Albert zu retten.« Als er sich umwandte, begegnete sein Blick zum erstenmal den Augen Claires, in denen eine Abneigung stand, die sie vergebens zu unterdrücken suchte.
    Â»Albert braucht nicht gerettet zu werden«, sagte sie kühl. »Sie sollen uns nur helfen, daß ihm schnellstens Gerechtigkeit widerfährt und daß man ihn sofort freiläßt. Monsieur Daburon ist von der Wahrheit schon unterrichtet.«
    Â»Von der Wahrheit?« rief Noël verblüfft.
    Â»Es ist die reine Wahrheit, daß Albert den Abend, an dem Madame Lerouge ermordet worden ist, mit mir im Garten unseres Hauses verbrachte.«
    Die Verwunderung wich nicht aus Noëls Zügen.
    Â»Für den Fall, daß Sie es nicht wissen sollten, Monsieur«, sagte sie kühl, »ich bin Claire d’Arlanges, Alberts Verlobte.«
    Der Graf entwarf in wenigen Strichen ein Bild von dem, was Albert am Abend des Mordtags getan hatte, so, wie es ihm von Claire berichtet worden war.
    Â»Aber Sie sehen doch, Monsieur«, antwortete Noël mit Unbehagen, »in welche Situation ich durch Madame Gerdys Tod geraten bin. Hat das alles nicht bis morgen Zeit?«
    Â»Bis morgen?« Der Graf war sichtlich ungehalten. »Wir müssen sofort handeln. Du tust mehr für die Sache der armen Frau, wenn du ihren Sohn befreist, als wenn du für sie betest.«
    Noël verbeugte sich steif.
    Â»Wenn Sie es befehlen«, sagte er, »mache ich mich sofort auf den Weg. Ich hoffe, Sie heute abend schon im Schloß aufsuchen und Sie über den Erfolg meiner

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