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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Èmile Gabroriau
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trotzdem ... Wir sind doch ziemlich leichtfertig an den Fall herangegangen.
    Â»Sie hat sich aber doch stets als Witwe ausgegeben.«
    Â»Das war so ausgemacht zwischen uns. Ich wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben, und das hab ich ihr auch gesagt.«
    Â»Seltsam. Aber lassen wir das. Sie wissen, daß Ihre Frau tot ist, daß sie ermordet wurde?«
    Â»Der Detektiv, der mich aufgestöbert hat, hat es mir gesagt«, antwortete der Seemann unwirsch. Und er fügte hinzu: »Ich ahnte, daß das Miststück eines Tages so enden würde.«
    Â»Wie sprechen Sie von der Frau, die doch immerhin Ihre Gattin war!« rief Daburon empört.
    Â»Warum soll ich anders von ihr reden? Mein Vater selig, ja, der hat das alles kommen sehen, und er hat mich gewarnt, damals, als ich sie nahm. Aber ich hab ja nicht hören wollen, hab ihn ausgelacht, als er sagte, die würde mich noch mal in Teufels Küche bringen. Jetzt haben wir den Salat. Wegen ihr hat die Polizei nach mir gesucht wie nach einem miesen Halunken. Meine Beschreibung ist in alle Ämter gegangen, und überall wird gefragt worden sein: ›Was hat denn der auf dem Kerbholz?‹ Und jetzt steh’ ich vor Ihnen! Ist das nicht eine Affenschande? Wir, die Lerouges, sind immer ehrliche Leute gewesen. Das kann Ihnen jeder bestätigen. Ein Wort von einem Lerouge hat immer soviel gegolten wie was Geschriebenes. Ich bleibe dabei: Sie war ein Miststück. Das hab’ ich ihr auch oft gesagt. Und: daß es eines Tages ein schlimmes Ende mit ihr nehmen würde.«
    Â»Das haben Sie ihr wirklich gesagt?«
    Â»Tausendmal, Monsieur.«
    Â»Und warum? Seien Sie ganz beruhigt, wir tasten Ihre Ehre nicht an, und wir glauben Ihnen. Welchen Grund also hatten Sie, ihr so etwas zu sagen?«
    Â»Das ist schon dreißig Jahre oder noch länger her, da hab ich es zum erstenmal gesagt. Sie hatte immer schon Hummeln im Hintern, wollte schon immer wissen, wie es bei dem vornehmen Volk aussieht, und wollte sich in ihre Intrigen mischen. Daran ist sie ja denn auch krepiert. Wenn man Geheimnisse wüßte und über sie schwieg, meinte sie, könnte man viel Geld verdienen. Daß sie sich den Strick damit verdienen würde, hab ich ihr gesagt. Unsereins kann doch sein Glück nicht aus dem Dreck der Reichen fischen, stimmt’s? Aber das war ihr nicht beizubringen.«
    Â»Konnten Sie denn nicht ehelichen Gehorsam von ihr verlangen, wie das Gesetz und die Religion es vorschreiben?« wollte Daburon wissen.
    Der Seemann schüttelte nur den Kopf und lachte unfroh.
    Â»Gehorsam! Lieber Gott. Ich war es, Herr Richter, der gehorsam sein mußte!«
    Daburon konnte noch nicht wissen, ob Lerouges Aussage von einigem Gewicht sein würde, und so beschloß er, die Weitschweifigkeit des Alten vorläufig zu ertragen. Erst wenn er sich zu weit von der Sache entfernen sollte, wollte er ihn wieder auf den richtigen Weg bringen.
    Â»Erzählen Sie doch mal etwas über die Intrigen, in die sich ihre Frau einmischte. Erzählen Sie so ausführlich wie möglich. Wir haben Zeit, und wir müssen alles wissen.«
    Â»Ja, wenn Sie alles wissen wollen ...« Lerouge legte seinen Hut auf einen Stuhl und kratzte sich ausgiebig den Kopf. Das tat er immer, wenn er über etwas Wichtiges nachdachte. »Also, vor fünfunddreißig Jahren war es. Da verliebte ich mich in Claudine, in St-Jean, wenn Sie das kennen. Sie war schön, hatte eine Stimme wie eine Glocke. Wirklich, an der ganzen Küste gab’s keine mehr wie sie. Schlank wie ein Mast war sie, und ihre Augen funkelten wie ein Leuchtfeuer. Ihr einziger Fehler war: Sie hatte leere Taschen. Meine Leute hatten sich ein bißchen was erarbeitet. Mein Vater merkte, daß ich in sie verknallt war, und weil er sie nicht mochte, schickte er mich auf See, ein halbes Jahr und länger war ich auf einem Schoner. Luftveränderung tut gut, sagte er immer. Aber mich hat der fremde Wind, der mir um die Nase wehte, nicht geändert. Ich liebte Claudine noch immer, und je mehr sich mein Vater widersetzte, desto verrückter wurde ich nach ihr. Essen und Trinken schmeckten mir nicht mehr. Ich wußte, sie hat mich auch ein bißchen lieb. Schließlich sah ich damals auch noch nach etwas aus. Kurz und gut: Mein Vater kam dahinter, daß er bei mir nichts ausrichten konnte, und er ließ mir meinen Willen. ›Nimm das Aas zur Frau‹, sagte er, ›aber beklag dich

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